Um und bei dreißig – ist nicht nur eine solide Keksmenge für einen gemütlichen Adventsnachmittag, sondern auch ein schmackhaftes Alter. Mit dreißig hat man gelernt, auch ohne mütterliche Beihilfe grundsätzlich überlebensfähig zu sein. Der eigene mehr oder minder schwer vermittelbare Charakter ist gefestigt. Man weint nicht mehr (so oft), wenn Geschwister das eigene Erscheinungsbild mehr oder minder schwer beleidigen und hat eine Hausratversicherung abgeschlossen. Es gibt wirklich beste Freunde im Leben, die nicht bei der nächsten großen Pause mit anderen Kindern Schneematsch nach einem werfen oder Vorlesungsmitschriften als Form des Treueeides verlangen. Und das mit dieser Arbeit als Form einer sozialversicherungspflichtigen Freiheitsbestrafung hat man auch irgendwie akzeptiert. Der kostenlose Kaffee schmeckt schließlich und man kann mit den Kollegen Tierbabyvideos austauschen.
Das Leben zwischen den Busreisen – Klassenfahrt und Kaffeefahrt – könnte so schön sein.
Wäre da nicht dieses Problem mit der zerrinnenden Zeit. Das erste graue Haar wird würdevoll entrissen. Die Aussage „Du siehst erschöpft aus“ häuft sich. Man googelt Bandscheibe und begreift: ich habe ein Haltbarkeitsdatum. Der Schimmelbefall ist noch nicht sichtbar, aber wir wissen, die Verwesung naht. Ein fauler Geruch liegt in der Nase. Wie ein langsamer, rostiger Güterzug rollt da irgendetwas auf einen zu. Doch anstatt sich mit ebenfalls krähenbefüßten Generationsgenossen zusammenzurotten, sich gemeinsam beim Schimmeln solidarisch zu begleiten und auf die Zeit, da man wieder in der letzten Reihe im Bus zusammen sitzen wird zu freuen, passiert etwas Eigenartiges.
Es entstehen Distanz, Fremde, zwei Lager. Separiertes Schimmeln. Getrenntes Weiterleben. Die Generation um und bei dreißig durchzieht eine schweigende, nur auf den zweiten, sehschwächer werdenden Blick sichtbare Kluft zweier Lebenswelten – ein feiner Graben zwischen Tinder und Thermomix.
Entweder ich verfüge über ein Tinderprofil. Oder einen Thermomix.Besitz beider Gimmicks ist nicht möglich, Durchmischung ausgeschlossen. Aßen die beiden Lager früher gemeinsam kalte Dosenravioli in der mitternächtlichen WG-Küche, haben sie sich heute plötzlich nichts mehr zu sagen.
Gehöre ich zum Tinder-Trupp, liege ich sonntagabends auf dem Sofa und swipe. Nicht durch meine Wohnung. Sondern durch eine Online-Dating-App meiner Wahl. Ich bin im Kater nach meiner zu glorifizierenden Studienzeit erwacht und stelle fest, dass die guten Deckel alle weg sind. Der eigene Topf fängt an, komische Beulen zu formen und nicht mehr richtig heiß zu werden. Bei Tindereliteship suche ich dennoch nach einem Abschlussgerät mit passgenauem Hobby, Humor und Haltbarkeitsdatum. Irgendein Deckel wäre im Alter ja schließlich ganz schön, eh man selber nicht mehr ganz dicht ist. Notfalls auch ein Gummiaufsatz. Oder ein Stück Alufolie. Irgendwas. Doch der Markt aus zwielichtiger B-Ware mit Brandstellen, Rissen und Baufehlern überzeugt nur selten. So verbringt man schließlich seine Zeit damit, exotische Urlaube zu planen, Serien zu schauen, Gehaltssprünge in Amazon Prime zu investieren und traumatische Datingerlebnisse mit Gleichgesinnten und Gin therapeutisch aufzubereiten. Und darin irgendwie doch seinen Seelenfrieden zu finden.
Als Mitglied des Thermomix-Basislager liege ich sonntagabends auf dem Sofa und googele. Nicht nach exotischen Urlaubszielen. Sondern nach den Symptomen für Mumps. Oder nach Brautschuhen, die nicht an die eigene heilige Erstkommunion erinnern. Oder nach einem Ferienhaus mit Carport an der dänischen Küste. Irgendein Kind schreit. Der Partner schweigt. Statt zu Sex und Gin trifft sich der Elternbeirat und der Nachbarschaftsverein zur Verschönerung des Spielplatzes. Der Thermomix verarbeitet Kürbis und Karotten zu Suppe – und ich die Erkenntnis: ich bin im Leben meiner eigenen Eltern erwacht. Die Vorhersehbarkeit, die mein Leben dadurch erhält, beruhigt mich irgendwie. Ich muss den Bauch nicht mehr einziehen im Leben. Ich habe einen Partner, eine Familie, die mich im Alltag und an Sonn- und Feiertagen in den Wahnsinn treiben, im Kern aber eigentlich ganz drollig sind.
Was dem einen Alltag, ist dem anderen Albtraum. Was den einen bewegt, bewegt den anderen zum Gehen. Doch warum trennt das Fehlen eines analogen Alltags nun die beiden Lager so drastisch? Warum empfinden wir statt Neugier und Bereicherung Misstrauen und Desinteresse angesichts dieser anderen Tinder/Thermo-Opfer? Vielleicht fühlen wir uns bedroht. Wir fürchten nicht etwa, dass uns unser Leben weggenommen würde, sondern dass wir der hart erarbeiteten Zufriedenheit mit diesem eigenen Leben beraubt werden. Der andere lebt das vor, was mir vielleicht fehlt. Meinem Lebensmodel wird der Spiegel vorgehalten.
Meetings statt Masern. Vorgesetzten am Ohr. Brei hinter dem Ohr. Yogakurs am helllichten Tag. Feierabendbier egal wann. Frohes Kinderlachen. Friedliche Stille.
Zum Schutz flüchten wir uns daher in Vorurteile.Diese Junggesellen sind doch alle karrieregeile, einsame Egozentriker, die ihr sinnentleertes Leben mit Gegenständen und einsamen Stränden füllen. Bemitleidenswert. Diese Familienmenschen sind desinteressierte, unfreie Spießer, lebendig begraben und unfähig, über etwas anderes als den Stuhlgang ihres Juniors zu sprechen. Grauenhaft.
Doch sollte man sich nicht – anstatt den anderen zu dämonisieren – den anderen Lebenswirklichkeiten öffnen? Sich für die Herausforderungen des anderen ehrlich interessieren, diese gemeinsam meistern, sich gegenseitig bereichern? Man kann den heranrollenden Güterzug zwar gemeinsam auch nicht aufhalten, aber sich bis dahin eine nette Zeit machen. Und zum Beispiel einfach mal einen Abend in der Einbauküche gemeinsam Tindern, während der Thermomix Ravioli zubereitet.
2 Gedanken zu „Tinder versus Thermomix – wie sich eine Generation entfremdet“
Nun hat der Thermomix es in den Schellenaffen geschafft. War eigentlich auch überfällig! Denn dieses Gerät trennt nicht nur Lebensmittel sondern auch, wie ich lese Generationen ! Aber der Gedanke hinter dieser „Trennungsgeschichte“ ist schon uralt,wie ich. Bei uns fing diese Kluft nur schon mit 25 an und war genauso ausgeprägt wie heute! Nur ohne Thermemix😉. Wir die vermeintlich „späten Mädchen“ haben die „frühen Mutti ’s“ nur mitleidig belächelt ,weil denen die Erfahrungen ,die wir ja noch vor uns wähnten,nicht mehr vergönnt waren . Und die „Anderen“ bemitleiden uns da wir ja den wahren Sinn des Lebens wohl nie erfahren würden…..Kinder und Familie! Es ist nur Schade das sich anscheinend keine Brücke gefunden hat,diese Kluft zu überwinden! Nur die Namen und Begleiterscheinungen haben sich geändert. „Tinder“ und Thermomix . Wobei ich Ersteres zunächst für ein,von einem Sprachfehler Geschlagen, ausgesprochenens Kinder gehalten habe 😉 ! Dann wäre der Artikel ganz anderes geworden!
beim Schellenaffen gibt es immer wieder was zu lernen, das Wort „tinder“ war mir weder geläufig noch seine Bedeutung „Zunder“ bekannt, doch jetzt weiß ich, dass eine berühmte Date App so heißt – und was dazu im Internet steht … enä wa et nit all jit