Sonntagabend. Der Beginn einer neuen arbeitsreichen Woche voller Termine und Tumulte liegt vor uns. Der Bürokaffee-Kater lugt um die Ecke, während uns die Reste des Samstagabend noch in den Knochen stecken. Man fragt sich erneut, wo die letzten beiden Tage geblieben sind und sucht die Fernbedienung. Das Drücken der Tasten fällt schwer. Wer angesichts dieser Bürde frohgemut auf seinem Sofa sitzt und sagt: „Ich freue mich, wenn morgen der Wecker klingelt und ich wieder ganz viele Emails schreiben und eigenwillige Menschen ertragen darf“ der ist positiv formuliert etwas ganz besonderes (und definitiv kein Snoozer).
Doch bevor wir vom Rausch des Alltags vereinnahmt werden, suchen wir Halt und Unterhaltung in einem Sonntagabendritual. Dem Tatort. Seit Generationen versammelt sich Deutschland zum Wochenwechsel vor den Fernsehgeräten und verfolgt – ja was eigentlich? Positiv formuliert eine ganz besondere Form der kriminologischen Berichterstattung. Tatort: Sonntagabend. Opfer: Gebührengelder.
Ein mittlerweile gängiger Untersuchungsbericht liest sich so:
Leiche wurde an einen Dönerspieß gebunden in der Fußgängerzone von Köln-Nippes gefunden. Das Opfer war Chef einer neuen Kryptowährungsfirma, die sich dem Blockchain basierten Handel von Menschen und Zuchtrosen verschrieben hat. Die Suche nach dem Täter verläuft zunächst schleppend, da 1:45 Stunden gefüllt werden müssen und der Ermittler seine eigene schwierige Kindheit und Drogenvergangenheit aufarbeiten muss. Alkoholkonsum spielt in dem Zusammenhang keine unwesentliche Rolle. Der Ermittler hat ein Kind, Partner und/oder die Kontrolle über das eigene Leben eigentlich bereits gänzlich verloren. Weigert sich aber den Dienstwagen abzugeben. Da es ein VW-Diesel ist wird es ihm gewährt.
Verdächtigt wird zunächst der Geschäftspartner des Opfers, weil er fies aussieht und die psychisch labile Gefühlslage des Ermittlers ignoriert. Dicke Luft, die Stimmung wird schlechter. Es stellt sich jedoch heraus, dass genannte Person lediglich der Hausmeister war und mit Blähungen kämpfte. Verdächtigt wird der griechische Imbiss nebenan.
Jemand infiziert sich mit Tollwut, ein anderer mit einem humanen Computervirus. Im Fortlauf der Ermittlungen explodiert zudem ein Steinbruch und ein autopilotiertes Fahrzeug stürzt in einen Fluss. Warum lässt sich nicht klären. Vermutet wird, dass noch ausreichend Gebührengelder bei der Produktion übrig waren und jemand „mal richtige Action“ wollte. In der Zwischenzeit küsst die Stieftochter des Opfers den ermittelnden Beamten und gesteht ihren Fetisch für gehäkelte Reizunterwäsche.
Den entscheidenden Hinweis liefert schließlich die blinkende Lichterkette, die um den Hals des Opfers gewickelt war und mit der das Opfer erdrosselt wurde. Dies ergab der Obduktionsbericht des exzentrischen, Zaubertricks mit einer Niere vorführenden Pathologen. Die Lichtinstallation deutet auf einen Täter mit Hang zu technischer Raffinesse hin. Nachdem die attraktive kriminologische Assistentin den Laptop des Opfers knacken konnte (Passwort: 123456), liegen endlich Beweise vor: die Blockchain selbst war der Täter. Sie hat Dönerspieß und Lichterkette bei Amazon Prime bestellt und den ferngesteuerten Hausmeister die technische Inbetriebnahmen vornehmen lassen. Er war willenlos und damit schuldfrei.
Ebenso wie die Zuschauer – die sich mit dem Abspann beginnen zu fragen, ob der eigene banale Alltag vielleicht voller irrwitziger, unerkannter Gefahren steckt; ob die Lichterkette batteriebetrieben war und deshalb blinkte; was eigentlich aus dem griechischen Imbiss und dem bewährten Rezept eines simplen Plots geworden ist:
Leiche taucht auf – vornehmlich aus moderigem Hafenbecken. Kommissar Typ „Ich würde Sie meine Blumen gießen lassen“ raucht eine. Flirt mit der Dame aus dem Innendienst. Diverse Verfolgungsjagden. Am Ende brennt irgendwas. Täter wird festgenommen. Wollte Geld/Zuneigung/Rache. Currywurst und triumphales Dosenbier an der Würstchenbude – mit Blick auf moderiges Hafenbecken.
Stattdessen ist der ohnehin labile Sonntagabend nun gefüllt von Cyperorgs, Sexorgien und psychedelischen Wutausbrüchen. Der Tatort taumelt irgendwo zwischen Fantasystreifen ohne oscarreifes Unterwassermonster und Rosamunde Pilcher mit exzessiver Drogenvergangenheit. Mal ist er großstädtisch orgastisch, mal eher provinziell klamaukig. Mal bietet er eher beschämende Improvisationseinlagen, mal eine Film-im-Film-Handlung, die so verworren wird, dass man sich eher mit dem Thema Kryptowährung, der eigenen Steuererklärung oder diesem Satzbau beschäftigen möchte.
Oft versucht er sich – so auch dieses Mal – an einem politischen Thema. Rechtspopulismus, Fifa-Skandal, Tscheschenienkrieg und Altenpflege. Manchmal gelingt der Gedankenanstoß. Meistens misslingt er, wie das artikulierte Hochdeutsch eines Wotan Wilke-Möhring. Man möchte ihn gemeinsam mit Till Schweiger zur Logopädin schicken. Bei letzterem wäre ein Sonderdoppelpaket mit einem Volkshochschulkurs ratsam. Till, freie Plätze gibt es zum Beispiel bei „Authentischer Auftritt“ hier in Hamburg (Link zur Anmeldung). Das wäre doch was.
Wahrscheinlich sollte man die einfache Botschaft der ersten Sequenzen eines jeden, wirklich jeden Tatorts einfach ernster nehmen: wegrennen. Aber man tut es nicht und schaltet erneut wieder ein – in der Hoffnung eine der seltenen guten Produktionen zu erwischen oder sich eben wieder aufregen zu können. Denn der Polizeiruf 110 ist ja auch keine Rettung.
Ein Gedanke zu „Tatort – für mich gestorben?“
Da hat mir der Schellenaffe mal aus der Seele gesprochen!!!! Und das dann noch auf seine feine,wortgewante,ironische,spritzige,treffsichere und humorvolle Art. Ich hätte es wahrscheinlich (nein sogar bestimmt) auf eine ehr proletarische und einfache Weise gesagt……die Tatorte der letzten Sonntage waren einfach nur…… Scheiße…..Entschuldigung für dieses vulgäre Wort, aber es muss hier mal gesagt/geschrieben werden! Denn was wahr ist, muss wahr bleiben! Sorry!