Ein von mir verhasstes, aber auf ewig in mein Gedächtnis gebranntes Lied meiner Grundschuljahre schwirrt mir durch den Kopf, als das Flugzeug den Boden verlässt. Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten? Meine Gedanken, umgeben von uniformierten Junggesellenabschieden, schreienden Kindern und urlaubsgeifernden Kegelvereinen sind vermutlich sehr leicht zu erraten. Aber noch mehr frage ich mich, wie schwer Gedanken wirklich sind. Ich muss an den aus Migrationsberichten und Adipositas-Therapiegruppen bekannten Ausdruck „Die Vorurteile wogen schwer“ denken.
Ich sitze im Flieger nach Palma de Mallorca. Ich reise mit schwerem Gepäck: einem wuchtigen Koffer voller Vorurteile. Ballermann, Bettenburgen und Bierkönig. Wie zur Bestätigung klatschen die Bierkönige zur Landung.
Der Flughafen wirkt wie eine große Fischauktionshalle: frische Weiße Haie werden massenweise angespült und gegen wohlgenährte deutsche Rotbarsche, Hummer und Krebse eingetauscht. Ich erröte, ob des Anblickes, möchte mich als Dänin ausgeben und springe wie eine Forelle in das auf mich wartende Auto. Laut schlage ich die Autotür zu – und gleichzeitig ohne es zu ahnen, ein neues Kapitel auf.
Denn der Zauber dieser Insel beginnt mich zu ergreifen. Über immer einsamer werdende Straßen fahren wir ins Landesinnere. Vorbei an Mandelbäumen, Steinmauern, kargen Weiten und idyllischen Fincas. Die wärmende herbstliche Abendsonne taucht alles in ein Haut, Hirn und Herz erwärmendes Licht. Fern schimmern Bergketten durch die Dämmerung als wollten sie sagen „Geduld, wir werden uns schon noch sehen.“ Mit jedem Kilometer verschwimmt die Erinnerung an die Ankunft im Haifischbecken. Enge Feldwege führen uns schließlich zu unserem Ziel: eine einsame Finca zwischen Orangenbäumen und Schafweiden. Überreife Feigen liegen auf der Einfahrt. Ein unreifer Sprung in den eigenen Pool, ein kühles Glas leichter Weißwein und ich bin angekommen.
Nicht die Stimmen der Maschinen, nein, die Stimmen der Tiere wecken mich am nächsten Morgen. Gockel begegnen einem in der Großstadt viele, aber wann habe ich das letzte Mal einen Hahn krähen gehört? Hunde bellen, irgendwo blökt ein Schaf, eine Mücke surrt an meinem Ohr. Bullerbü statt Ballermann. Der Blick aus dem Fenster lässt einen still verharren. Verharren zwischen „Ich brauche nur hier und jetzt“ und „Ich brauche mehr von dieser Insel.“ Und so verbringe ich eine Woche in familiärer Einsamkeit und entspannter Ausflugerei. Ich entdecke verschlafene Bergdörfer, springe in türkisblaue Badebuchten und atme den Duft von Pinienwäldern.
Ich schramme vorbei am Massentourismus, begaffe im Vorbeigehen meine saufenden Vorurteile. Der weiße Streifen Haut unter ihrem All-Inclusive-Bändchen scheint das hellste an ihrem Körper zu sein. Wie gegrillte Sohlen schmoren sie in der Sonne. Doch obwohl eine Insel, Mallorca bietet genügend Platz, um sich aus dem Weg zu gehen. Zumal die Pfade der trägen, deutschen Krustentiere bestens berechenbar sind.
Und so kurven wir durch schmale Bergstraßen, schlendern durch die engen Gassen Palmas und beobachten Einheimische, die sich abends auf dem Marktplatz auf einen Plausch treffen. Freundlich wirken die Mallorquiner, die auch am Ende einer langen Saison noch neugierig ihrem radebrechenden, nach Schwarzbrot fragenden Gegenüber zu begegnen scheinen. Es fällt ohnehin schwer, unzufrieden zu sein auf einer Insel der salzigen Oliven, süßen Kuchen und saftigen Melonen.
Gedanken an die baldige Abreise fliehen vorbei wie nächtliche Schatten. Zu schön sind der Sternenhimmel und der nächtliche Ruf der Vögel. Mallorca bereitet eine Kulisse des Bleiben-Wollens. Quédate aquí. Und doch sitze ich wieder viel zu plötzlich in einem Flugzeug, das mich nach Hause bringen soll und ich frage mich, ob man nicht in der Ferne zuhause sein kann. Angesicht der in der Abendsonne unter mir schimmernden Insel rollt – ohne dass ich es bemerke – eine Träne der Rührung über die haselnussbraune Haut. Ich reise zurück – mit leichtem Gepäck und schwerem Herzen. Mallorca, nos vemos pronto.
2 Gedanken zu „Eingecremt und angeschmiert von Vorurteilen – Urlaub auf Mallorca.“
Dem kann und will ich nichts hinzufügen. Außer ,dass meine Vorurteile schon beim ersten Besuch in der einsamen Finca ins Meer gespült wurden und ich schon „Wiederholungstäter“ bin! Das einsame Mallorca, es gibt es, und ist immer eine Reise wert!!!!😊
Eine absolute Trauminsel – man muss sich nur die Mühe machen, die ausgetretenen Pfade ein wenig zu verlassen…..