Es klingt so harmlos. Ein feierabendlicher Umtrunk mit Kollegen, ein gemütlicher Wochenendspaziergang mitliebgewonnenen Menschen, eine harmonische, adventliche Tradition. Doch eigentlich gleicht er einem Ausflug in ein von Lametta und Glühweinnebel getarntes Kriegsgebiet: der Weihnachtsmarkt. Resümee einer Tragödie in 4 Akten.
Akt 1 / Oh du fröhliche Naivität!
Am Anfang war die Dunkelheit. Die Dunkelheit des Winters. Die Last der kurzen Tage, die schwer auf das Gemüt drückt. Die Seele sucht Oasen des Lichtes und der Geselligkeit. „Glühwein“ klingt da wie ein glockenklares „Halleluja“ lallender Engelschöre. Bilder von rotbackig strahlenden Kindern und dicken Schneeflocken rieseln durch den Kopf. Wie schön es wäre, liebevoll – irgendwo in Asien – von Hand gefertigte Präsente zu verschenken. Und oh du süßer Duft von gebrannten Mandeln und Schmalzgebäck! Oh du kitschige Kulisse! Oh du fröhliche Vorweihnachtszeit!
Akt 2 / Lasst uns froh, nein lasst uns einfach nur durch!
Oh du frivole Vorbeidrückende-Menschen-Zeit! Die Idee, einen Weihnachtsmarkt zu besuchen, scheint so kreativ zu sein, wie einen Amazon-Gutschein als Weihnachtsgeschenk für den Ehepartner zu überreichen. Massen an vermummten Mitmenschen schieben sich zwischen Holzbaracken und offenen Feuerstellen umher. Man gewinnt den Eindruck, in den Favelas des Nordpols gefangen zu sein. Seine Bewohner scheinen jedenfalls aus Unrat und Müll kleine nutzlose Gegenstände gebastelt zu haben, die sie nun versuchen, den vorbeipressenden Besuchern als zusätzlichen Ballast aufzudrängen. Ob gefilzte Topflappen, gravierte Gläser oder handgebeizte Bretter vor dem Kopf, nichts scheint nutzlos genug zu sein, um es zu verkaufen. Der Umsatz ist alle Jahre ohnehin gesichert, denn Kaufentscheidungen erfolgen dabei grundsätzlich unfreiwillig: den Gegenstand, den man im Vorbeidrücken von seiner gezielt fragilen Halterung in den nassen Boden warf, muss man erwerben. Dass die Großmutter bereits so viele gedrehte Kerzen im Schrank hortet, dass sie damit einen nicht unbeachtlichen Terroranschlag verüben könnte, interessiert den Verkäufer mit den gehäkelten Pulswärmern wenig.
Irgendwo dudelt „Schneeflöckchen, Weißröckchen“ durch den Nieselregen. Man summt zur eigenen Beruhigung „Nasse Söckchen, Matschpfützchen“ und steuert die einzige Rettung an: einen Glühweinstand. Alle Jahre wieder fragt man sich angesichts der hochprozentigen Preise, ob es nicht eigentlich ausreicht, diese alkoholgeschwängerte Luft einzuatmen. Dann setzt „Last Christmas“ über die Lautsprecher ein. Man bestellt den Glühwein mit Schuss. Dann bastelt man halt wie früher „Gutschein für einmal Müll herunterbringen“ zu Weihnachten. Das Budget für Rauschmittel ist in diesem Moment jedenfalls nicht verhandelbar.
Akt 3 / Leise tröpfelt der Senf.
Die Arznei beginnt zu wirken und der Griff um den kitschigen Keramikbecher wird lockerer. Die klebrige Tasse muss man ohnehin nicht festhalten. Sie klebt inzwischen von alleine an den Wollhandschuhen. An den Pranken haften bereits ein paar gebrannte Mandeln, die passierenden Tüten entfallen sein müssen.
Um die eigene aufkeimende Blutrünstigkeit in rechtskonforme Bahnen zu lenken, stellt man sich beim Bratwurststand an. Das Kind hinter einem in der Schlange hat rote Backen. Vom Schreien. Man überlegt, ob man „Den kleinen Braten hinter mir, schön knusprig bitte“ bestellen soll, belässt es aber bei gesellschaftskonformem Grillgut. Man beißt in die Wurst und verbrennt sich den Mund. Senf tropft auf den Schal. Auf dem Weg zurück zum „Stall von Bowlehem“ reibt man den Fleck an den sich vorbeischiebenden Mänteln ab. Ebenso die fettigen Finger.
Akt 4 / Stihicksende Nacht.
Vier Becher später stellt man fest: Nicht nur ein Lichtlein brennt. Man hat die Lampen an. Gefangen in den Klauen der Feuerzangenbowle ertappt man sich dabei, glücklich „O Lallenbaum“ zu singen. Die fremden Leiber spenden Trost und Wärme. Und Senf. Die Puderzuckerreste der Schmalzkuchen auf dem eigenen Mantel geben einem das Gefühl, Teil einer koksenden, urbanen Bohème zu sein. Man beschließt besonders rebellisch, den Glühweinbecher mitgehen zu lassen. Die Flucht vermag zunächst nicht zu gelingen. Vergeblich sucht man den Ausgang. Stattdessen kauft man sich eine Nikolausmütze zur Tarnung. Sie blinkt. Wie ein Flugzeug im schwankenden Landeanflug landet man schließlich auf dem harten Asphalt abseits der von Sägespänen und Senf wattierten Welt des Weihnachtsmarktes. In der U-Bahn nach Hause stellt man fest: 20:13. Montag. Betrunken.
Die Mülltüte mit den Geschenken wurde an der Würstchenbude stehengelassen. Aber das klebrige „Diebesgut“ in der Manteltasche ist doch fast so schön wie gedrehte Bienenwachskerzen. Für Oma kann man schon mal fünf Euro Pfand investieren. Die übrigen Freunde und Verwandte bekommen dann eben Müllentsorgungsgutscheine. Besonders nach Weihnachten ist dies schließlich ein nützliches Geschenk – muss man doch so viel handgefertigten Sondermüll entsorgen.
2 Gedanken zu „Glühender Krisenherd – der Weihnachtsmarkt.“
Alle Jahre wieder….geht der Mensch zum Weihnachtsmarkt….auch wenn er sich jedesmal vornimmt,es dieses Jahr zu lassen! Weil dies einfach dazu gehört zur schönen Adventszeit. Wie Kekse backen für die ewig gleichen Krümelmonster oder Geschenke verpacken oder Weihnachtspost schicken, obwohl man das doch gar nicht mehr braucht, dank FB und Twitter! Sicher ist, der Mensch braucht Traditionen damit er sich in dieser stürmischen Zeit ( allgemein gesprochen) nicht vollkommen verirrt, und orientierungslose dahin treibt und da kommt so ein von weitem erkennbarer und riechbarer Weihnachtsmarkt gerade recht. Den kennen wir seid Kindheit an und finden uns blind zurecht, auch wenn sicherlich die Entspannung nicht mehr 100%gewährleistet ist!
Aber schön ist es trotzdem….wie Omakekse!😉
In Brühl habn wir einen schönen kleinen Weihnachtsmarkt (mit Schweinchenbahn und ohne Glühweinzwang), der war neulich sogar im Fernsehen