„Entschuldigen Sie, aber darf ich Sie fragen, wo Sie Ihre Maske her haben?“ Ich erkläre dem halben Gesicht einer mutmaßlich älteren Dame vor mir, wo ich meine überaus komfortable, atmungsaktive und empfehlenswerte Gesichtsverschleierung erworben habe. Als sei es das Normalste der Welt. Denn irgendwie ist es normal – geworden. Diese Gespräche. Die früher einmal skurril und irgendwie surreal gewesen wären. Skurreal. Aber was ist schon normal. Die Realität ist es jedenfalls nicht. Ein paar Nahaufnahmen dieser Momente, die sich neuerdings normal zu nennen scheinen.
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Dieser Moment, wenn man maskiert die Sparkasse betritt und es niemanden interessiert. Man wartet auf den Alarm. Doch das einzige Geräusch ist das leise Platzen eines Traumes vom Banküberfall. Er verschwindet, wie ein Aerosolbläschen vor den beschlagenen Brillengläsern.
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Dieses Entsetzen, wenn sich Menschen in „alten“ Filmen die Hände schütteln. Wann hat man sich zuletzt über einen zu feuchten, festen oder kraftlosen Händedruck entsetzt?
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Diese Enttäuschung darüber, dass man seine Wohnung nicht verlässt – außer um seine Päckchen noch immer bei den Nachbarn abzuholen. Der Zettel am Briefkasten „Leider konnten wir Sie zuhause nicht antreffen“ schmeckt zynisch. Der Paketbote ist noch immer ein Fremder. Die Enttäuschung darüber ist neu.
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Dieses Gefühl, dass man jemanden belauscht, wenn man auf einmal die Anweisungen des Fußballtrainers mithört. Man dachte immer, er sei Pantomime und alle anderen Akteure stumm. Statt Fangesänge hört der Fan nun Gerede – noch mehr Gerede.
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Dieses Gesicht, das so fremd wirkt, weil es mal wieder geschminkt wurde. Die Augen hatte sich entwöhnt. Doch die Handbewegungen sind noch immer leicht wie Puder.
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Diese stille Freude über die heimlich getragene Jogginghose unter dem Schreibtisch. Konferenzen waren nie so gemütlich. Wären da nicht die unbequemeren Dinge, bei denen kein Stretchanteil hilft.
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Dieser Kater, der keine verrauchten Kleider kennt. Die Kopfschmerzen sind die gleichen, auch wenn sich der schwere Kopf keine Gedanken über die Lücken in der Erinnerung und der Geldbörse machen muss. Stattdessen fragt er sich, wie Taxis noch mal riechen.
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Dieser Einblick in das Arbeitszimmer und die Nasenlöcher fremder Menschen. Anstatt anhand von glänzenden Smartphones und edlen Aktentaschen merkt man Eitelkeit nun anhand eines Bücherregals. Harry Potter und „Excel für Dummies“ scheinen wohl unterster Regalboden zu sein.
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Das Gefühl etwas zu verpassen, das bleibt auch, wenn es nichts mehr gibt, was verpasst werden kann. Niemand erlebt irgendetwas. Dieses Etwas wurde das eigene Leben, das man verpasst. Gehört einem das eigene Leben noch, wenn es nicht mehr auf einen zu hören scheint?
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Dieses Weniger, das mehr wurde. Die Corona-App scheint die einzige Plattform zu sein, bei der man sich über geringe „Follower“-Zahlen zu freuen scheint. Steigt die Zahl, steigt das kratzige Gefühl im Hals. Exponentiell.
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Diese Müdigkeit, von der kein Schlaf befreit. Man war nie so ausgeschlafen, so früh im Bett, so spät „auf dem Weg zur Arbeit“. Und doch ist man müde. Müde der Sorgen, der sich ewig kreisenden Gedanken. Erschöpft vom Gefühl, in einem sonderbaren Traum gefangen zu sein. Dabei ist es nur das Bevölkerungsschutzgesetz, das einen gefangen hält.
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Diese Füße, die zu wachsen scheinen, weil sie nicht mehr eingeengt und wund gelaufen werden. Glücksgefüße machen sich breit.
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Dieser Unglaube über illegale Fitnessstudios. Fand man früher auf einsamen Parkdecks Spritzen, findet man dort heute Hanteln und Gummimatten. Heimlich aufgebaut für verzweifelte Bewegungsjunkies, die plötzlich am Rande der Legalität gemeinsam Schweiß spritzen.
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Dieses Gerede über Klopapier, das zum Wertpapier wurde. Man kann es nicht mehr kaufen. Und nicht mehr hören. Man stellt man langsam auf Durchzug. Wie eine leere Rolle Klopapier.
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Dieser Grund zum Feiern, der einem im Halse stecken bleibt. Spätestens wenn das Weihnachtsfest zur Textaufgabe wird (wenn 4 Personen aus 5 Haushalten zusammenkommen, wer ist dann schwanger?), wünschte man sich, die Schulen wären offen geblieben. Denn wer, wenn nicht zukünftige Generationen sollen diese skurreale Aufgabe für uns lösen?
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Diese Gelassenheit, die auf die Probe gestellt wird. Aber keine Alternative kennt.
Ein Gedanke zu „Moment mal.“
Wäre noch zu erwähnen, die Verrenkungen die mancher macht, um dem Handschlag oder der Umarmung zu entgehen!
Oder das sich nun nicht nur in England geordnete Schlangen vor Läden und Haltestellen bilden!
Das man gelobt wird wenn man wieder ein Wochenende auf der Couch verbracht hat. Anstatt wie sonst als Couchpotatoes beschimpft zu werden!
Oder das nun das Vermummungsverbot in öffentlichen Räumen aufgehoben scheint, im Gegenteil, es rettet Leben!
Das man nun Tips über gestreamte Konzerte bekommt, anstatt sich um eine Karte zu bemühen!
Ich könnte hier stundenlang fortfahren, aber das ist die schlechtes Form mit dieser Zeit umzugehen. Denn wenn man liest was heute alles „normal“ ist, bekommt man das heulende Elend!
Es sei denn man sieht es wie der Schellenaffe mit Gelassenheit, die keine Alternative kennt!😊