Hyper bis fröhlich 

Auch wenn die Gegenwart noch so hardcore erscheint, sind wir als Menschheit ja stets darum bemüht, den kleinen Strohhalm der Hoffnung zu suchen. Irgendwas Gutes wird sich schon unter all der Gülle ausgraben lassen, wenn man nur lang und tief genug darin wühlt. Die elende Regenjacke, die auf den Unterarmen klebt, wie Boris Johnson an der Macht, hat man seit Weihnachten nicht mehr gebraucht. Johnson selbst ist endlich Statist. Und die ganzen Brennpunkte zum Tode einer 96-jährigen Frau, die den Ruhestand nicht mehr erleben durfte, erlösen einen wenigstens von den Sondersendungen voller explodierender Preise und Städten. Selbst die Pandemie, dieses quengelige Einzelkind mit zu hohem Geltungsbedürfnis, hatte etwas Gutes. Sie befreite einen nicht nur von Hosenbünden und Körperpflege, sondern auch von Terminen und Verpflichtungen der abkömmlichen Art. Man bekam sogar sein Geld erstattet, könnte es besser werden? Endlich hatte man die Ausrede, um sich in Embryonalstellung auf der Couch liegend von Menschen zu entwöhnen. Dachte man. Doch diesen Sommer, ausgerechnet diesen Sommer, wurde man dieser Ausrede beraubt: denn niemand wird mehr durch Fernbleiben geschützt. Außer die eigene Person. Vor lästiger Gesellschaft.

So geschah es also, dass ausgerechnet jenes Konzert, für das man vor drei Jahren in einem Moment geistiger Verwirrung eine Zutrittserlaubnis erwarb, stattfinden sollte. Drei Jahre voller Hoffnung, in der andere Menschen einen Bachelorabschluss machen oder dick und wieder dünn geworden sind, waren zerstört. Man tröstete sich mit dem Gedanken, dass man durch die Inflation die Karten zu einem echten Frühbuchertarif erworben hat. Für den Preis bekäme man heute nicht mal mehr einen fish, egal wie laut man danach fragt. Nein, es war also an der Zeit, den Folgen einer vor drei Jahren durchzechten Nacht ins Auge zu schauen und den ungewollten Kauf, der auf den Namen „Scooter“ hört, in die Arme zu schließen.

Der konzertante Festakt beginnt mit der Erkenntnis, dass Warnwesten selbst auf einem Scooter-Konzert verboten sind. Dieses Privileg ist den Ordnungskräften vorbehalten. Früher, also vor drei Jahren, wäre das bestimmt anders gewesen. Aber heute herrscht ja bekanntlich überall Ordnung und Unterwerfung im Land der Echsenmenschen!!1! So gibt man schließlich seine Warnweste beim Gepäckstand ab – man muss sein Geld ja zusammenhalten – und fügt sich ein in die unalamierende Menge.

Der Weg zur Bühne führt vorbei an Männern mit Blasenschwäche. Man sehnt sich einige Packungen Prostagutt Forte herbei und nimmt sich vor, nichts auf dem Konzertgelände anzufassen. Hände schüttelt man ja ohnehin schon länger nicht mehr. Auf den Schreck, der einem angesichts der Bierpreise durch Mark und Bein jagt, bestellt man erst einmal ein Bier. Man lacht über den eigenen Wortwitz „Hyperinflation“ und blendet die akustischen Warnsignale der Vor-„Band“ aus, die aus einem „Flippern-den“ Schützenfest-DJ besteht.  Zeit, den Blick schweifen zu lassen. War man in der Erwartung angereist, so sehr aufzufallen, wie Olivia Jones bei einem AfD-Parteitag, wundert man sich über die Menge, die sich in normalbürgerlicher Vorfreude an einen schmiegt: völlig unauffällige Menschen. Keine trillernden Pfeifen, keine Junggesellenabschiede, keine blondierten Haare, kein einziges Tattoo auf dem Steißbein. Prompt hegt man die Hoffnung, dass Scooter eben auch nicht mehr das ist, was es einmal war.

Doch dann erklingt der erste Ton. Und Scooter ist noch immer das, was es einmal war. Dieser eine Bass und etwas Geschrei. Man mische etwas Pyrotechnik und Tänzerinnen, denen nicht nur die Warnwesten vom Leib gerissen wurden, dazu und eineinhalb Stunden Scooter Konzert sind im Wesentlichen zusammengefasst. Allen denen, das jetzt zu schnell ging: seid froh.

Ein dröhender Klassiker und solche, die man nicht von ihnen unterscheiden kann, reicht sich an den nächsten. Always hardcore begeistert ist die Menge, die sich wohlig alkoholisiert aneinander drückt. Vom ersten Moment, da irgendjemand den Startknopf auf dem CD-Player gedrückt hat und drei mehr oder weniger vorteilhaft gealterte Herren auf der Bühne rumhüpfen und so tun, als würden sie Musik machen, johlen die Massen. Nur dem nüchternen Ohr fällt auf, dass manches Lied doppelt gespielt wurde. Aber so genau vermag man das musikalische Angebot ohnehin nicht zu unterscheiden. Wer kann schon einen Kipplader von einem LKW unterscheiden. Dies weiß auch der Veranstalter, weswegen er einzelne Wörter, was im Falle von Scooter gerne ganzen Liedtexten gleicht, als Mitsinghilfe auf die Bühnenrückwand projiziert. Für alle, die sich dennoch fragen, ob sie nicht doch bei Ed Sheran gelandet sind, wird der Bandname ebenfalls immer wieder dezent angebeamt. Gebeamt fühlt man sich derweil selbst. In eine andere Zeit: allen Energiekrisen und Dürresommern zum Trotz brennt die Bühne in einem permanenten Landregen aus Feuer. Alle Sexismusdebatten scheinen an den entblößten Frauengesäßen vorbeizugehen. Und jeden Bezug zum eigenen Alter verlierend zollt die Menge „respect to the man in the ice-cream van“. Und so ist man dann beinahe enttäuscht, dass die CD und damit die Zeitreise irgendwann ihr jähes Ende finden und sich H.P. Baxxter mit einem Gruß an seine Mutti von der Bühne verabschiedet. Zurück in der Zukunft macht man sich hyper bis fröhlich mit seinem Tinitus auf den Heimweg und stellt fest, dass doch nicht alles schlecht war. Damals in den Neunzigern. Damals auf dem Scooter-Konzert.

3 Gedanken zu „Hyper bis fröhlich 

  1. Ich könnte mir heute auch nicht mehr vorstellen „hyperhyper“ zu grölen und das toll zu finden…aber vor 30 Jahren im grünen Cabrio mit roten Haaren durch das Schweizer Voralpenland zu cruisen…war klasse und passte. Heute käme ich mir mit graumellierten Haaren und im klimatisierten Auto mit Dach (Starkregen und Extremhitze lassen Cabrio fahren nicht mehr zu) völlig bescheuert vor! Man(n) /Frau verändert sich eben….außer Scooter vielleicht 😊

  2. im ersten Moment dachte ich, jetzt sind die E-Scooter dran, dann sah ich dass es sich um eine mir bisher unbekannte Band handelt, Google hilft weiter, und einen hyperhyper-Brüller gab es auch ln einem Werbespot für Hyperino…

  3. Nachtrag: Der genannte Brüller ist wie ich gerade sehe Baxxter selbst. Also kannte ich doch indirekt die Band, dank Servus TV und dem Spot …

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