Bewerte mich – bitte nicht.

Bewertung Schellenaffe

Ein Geschenk ist etwas Schönes – eine unerwartete Wertschätzung, eine persönliche Geste. Eine hübsche Uhr, ein persönliches Gedicht, eine lang ersehnte Reise oder irgendwas von Tchibo und die Herzen des Beschenkten und des Schenkers erfreuen sich gleichermaßen. Auch wenn der Geschmack und die Konfektionsgröße mitunter nicht getroffen werden, ein Geschenk erhält seinen Wert ungeachtet des tatsächlichen Preises durch die Tatsache, dass es eine für einen bestimmten Moment gewählte persönliche Form der Wertschätzung ist. Die Geste zählt. Ein Geschenk ist – ob mit oder ohne Schleife auf dem Kopf – kostbar. Schenken wir jedem jeden Tag eine Uhr, verliert die Uhr als Geschenk ihren Wert und wir den Verstand aufgrund der omnipräsenten Tickerei. Aber auf die Idee Chronometer an wahllose Passanten, den Kellner, unseren Hausarzt, die Frau beim Bäcker oder den eBay-Verkäufer, der uns eine gebrauchte Bohrmaschine verkauft hat, zu verteilen kommen wir nicht. Das wäre ja tickender Irrsinn.

Doch wie nicht anders zu erwarten: wir ticken mal wieder irrsinnig. Wir geben mittlerweile jedem der uns danach fragt ein eigentlich kostbares Geschenk. Jeden Tag. Überall. Großzügig. Offenherzig. Gönnerhaft.

Das Geschenk des aufrichtigen Feedbacks.

Nimmt man sich die Zeit jemanden zu loben, kritisieren, analysieren, bewerten oder anzuleiten ist dies eine persönliche Form der Wertschätzung. Selbst wenn mag sagt „Ich finde dich doof“ ist das mitunter weniger bedauerlich als ein „Du bist mir völlig egal“. Ein vergessener Geburtstag schmerzt meistens mehr als ein Paar unästhetische Thermosocken als Präsent. Missachtung ist verborgene Verachtung.

Doch nun verteilen wir kostbares Feedback als sei es Sternchen-gewordene Kamelle auf dem Kölner Rosenmontagszug. Wurfsterne in Form von Bewertungen, Erfahrungsberichten und Umfragen. Wir bewerten unser Toilettenerlebnis, unsere Warteerfahrung bei der Kfz-Zulassungsstelle oder die User Experience nach dem Kauf elektrischer Zahnbürstenköpfe. Wir schreiben Erfahrungsberichte zur Einfühlsamkeit der Dentalhygienikerin, der Kommunikationsfähigkeit des Schneiders und dem Eincheck-Erlebnis am Flughafenhotel. Selbst unsere „Freunde“ können wir mittlerweile bewerten (auf Peeple), wie edukativ. Wir verteilen Smileys, Sterne und Punkte überall, ständig, inflationär.

Smileys Bewertung grün gelb rot

Wir machen dies aus zwei Gründen. Zum einen fühlen wir uns geschmeichelt. Jemand fragt nach unserer Meinung – wie interessiert, wie wertschätzend! Doch was passiert mit unseren Punkten und Beurteilungen? In den seltensten Fällen dienen Kundenbefragungen zur tatsächlichen Ermittlung und Verbesserung der Zufriedenheit, sondern vielmehr geht es um Gewinnung wertvoller Nutzerdaten (und einer Datengrundlage für Bonus-Verhandlungen) mittels derer Werbebotschaften, weniger das Produkt selbst verbessert werden soll. Wie oft habe ich an einer Befragung teilgenommen und mich später tatsächlich an geänderten Öffnungszeiten oder der Vorpensionierung der pitbullartigen Sprechstundenhilfe erfreut? Selten. In diesem Sinne verschenken wir eine Uhr, die später als Keil unter ein wackelndes Bücherregal gesteckt wird.

Zum anderen fühlen wir uns mächtig. Feedback verliert seine unschuldige, wertschätzende Funktion und wird als Drohgebärde verstanden. Schlechte Kundenbewertungen sind toxischer als ein Besuch des Gesundheitsamtes. Ein Shit Storm kann eine ganze Lebensgrundlage beschmutzen, Hasskommentare die seelische Unversehrtheit zerstören. Dem nicht genug. Das Damoklesschwert 5-Sternchen schwebt über uns allen. Selbst als verkatert dösender Nutzer einer Mitfahrgelegenheit werde ich bewertet. Wie pünktlich war ich? War ich frisch geduscht? Wie stark waren Krümmelvolumen, Speichelfluss und die Originalität meiner Kommentare? Wäre mir das vor Fahrtantritt bewusst gewesen, hätte ich vielleicht statt eines Streuselbrötchens profundes Wissen der Weltpolitik als Proviant eingepackt. 5-Sterne Deluxe. Im Urlaub rennen wir alle in die topbewertete Taverne, anstatt dem Bierkeller ohne Website eine Chance zu geben. Die Skalen unseres Lebens kennen nur noch Extreme.

Doch macht uns das Feedback-Feuer wirklich zufriedener? Was ist eine anonyme, öffentlich stattfindende, permanente Feedbackkultur tatsächlich wert? Sie ersetzt das persönliche Gespräch, die ehrliche, direkte, manchmal unbequeme Auseinandersetzung, die Chance der beidseitigen Kommunikation. Ich gebe dem Chef einmal im Jahr eine anonyme, vernichtende Bewertung, anstatt ihn unmittelbar auf seine Unpünktlichkeit hinzuweisen. Anstatt der Kellnerin einen schlechten Tag zu erlauben, posten wir einen Verriss der gesamten Belegschaft auf einem potenten Bewertungsportal. Wir füllen Online-Befragungen für Putzmittel aus, anstatt unserem Partner zu sagen, dass er gut gekocht hat.

Natürlich hilft es uns durch Bewertungen und formalisiertes Feedback von der Wahrnehmung anderer zu profitieren. Aber die Gefahr ist eben groß, dass wir dadurch den Raum für eigene Wahrnehmungen und Erfahrungen reduzieren. Der Teufel steckt in der Dosierung. Muss ich wirklich stundenlang Bewertungen vor dem Kauf einer Sport-Trinkflasche lesen oder der Toilettenfrau über ein iPad Feedback geben? Über ein Dankeschön und 50 Cent freut sie sich wahrscheinlich mehr.

Feedback ist ein Geschenk – eine unerwartete Wertschätzung, eine persönliche Geste, etwas Besonderes. Sollte man so ein Geschenk nicht persönlich überreichen?

Doch nun zum eigentlich Grund dieses Beitrags. Da ich wie immer, keine der Dinge, die ich hier postuliere, selber beherzige: hier der Link zu einer Leserzufriedenheitsbefragung. Ich bitte um rege Teilnahme. Unter allen Teilnehmern wird ein persönliches Meet & Greet verlost. Die Verlosung ist dabei nicht zufällig und wird aufgrund ohnehin geplanter Zusammenkünfte und allgemeiner Zuneigung vorgenommen. Und ich denke wir alle wissen, wer der „dreifache“ Gewinner sein wird.

2 Gedanken zu „Bewerte mich – bitte nicht.

  1. Wie heißt es so schön,wenn man sich um eine Antwort oder um einen sinnvollen Redebeitrag drücken will?
    „Ich kann mich meinem Vorredner/in nur anschließen „!
    Ich habe schon lange eine Aversion gegen jegliche Art von 🔴, oder 🌟oder 👎👍oder😊. Ich komme lieber mit meinen Mitmenschen ins Gespräch und sage ihnen wie ich was oder wen, wie finde. Darum werde ich sicher auch heute oder morgen mit meinem Schellenaffen telefonieren und ihr/ihm sagen wie großartig dieser Artikel war!!!

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