KATRIN.
Willst du schon gehn? Der Vertrag ist ja noch fern.
Es war die Koalition, und nicht die Neuwahl,
Die eben jetzt dein taubes Ohr durchdrang;
Sie singt des Nachts auf dem Konferenztisch dort.
Glaub‘, Anzugonkel, mir: es war die Koalition.
CHRISTIAN.
Die Neuwahl war’s, die Aufmerksamkeitsverkünderin,
Nicht du Grüne; und sieh den verzweifelten Horst,
Der dort im Süden der letzten Tage zählt:
Die Sondierung hat ihre Kerzen ausgebrannt,
Der muntre Medienrummel erklimmt die dunst’gen Höh’n:
Nur Konflikt rettet mich, Kompromiss ist Tod.
KATRIN.
Trau‘ mir, das Licht ist nicht des Braunkohle Licht,
Die Grüne hauchte dieses Luftbild aus,
Dein Moralträger diese Nacht zu sein,
Dir auf dem Weg nach Jamaika zu leuchten;
Drum bleibe noch: zu gehn ist noch nicht Not.
CHRISTIAN.
Laß mich euer Parteiprogramm greifen, ja, laß es mich töten!
Ich gebe es gern in mein Altpapier drein, wenn du es willst.
Nein, jenes Grün ist nicht des Liberalen Geschmack,
Der bleiche, vegane Abglanz nur von Lindners Stirn.
Das ist die Neuwahl, deren Schlag
Hoch über uns Merkel trifft.
Ich bleibe ungern: zum Gehn bin ich verdrossen.
Willkommen, Tod! hat Katrin dich beschlossen. –
Nun, Ökiherz? Noch tagt es nicht, noch plaudern wir.
KATRIN.
Es tagt, es tagt! Auf! eile! fort von hier!
Es ist die Neuwahl, die so heiser singt
Und falsche Liberale, rauhen Mißton gurgeln.
Man sagt, der Neuwahl Harmonie sei süß;
Nicht diese: sie zerreißt die unsre ja.
Die Neuwahl, sagt man, wechselt mit der Minderheitenregierung
Die Angela: möchte sie doch auch die Stimmen!
Die Stimm‘ ist’s ja, die das Volk uns schreckt,
Dich von mir jagt, da sie den Populismus erweckt.
Stets neoliberal und neoliberaler wird’s: wir müssen scheiden.
CHRISTIAN.
Neoliberal? Vegetarisch stets und vegetarischer unsre Leiden!
Die Kanzlerin kommt herein.
KANZLERIN.
Fräulein!
KATRIN.
Angie?
KANZLERIN.
Die gnäd’ge Gräfin kömmt in Euren Kleinkrieg;
Seid auf der Hut: schon regt man sich im Kanzleramt.
Kanzlerin ab.
KATRIN das Fenster öffnend.
Solarenergie, schein‘ herein! und Feinstaub, flieh‘ hinaus!
CHRISTIAN.
Ich steig‘ hinaus: laß dich noch einmal öffentlich attackieren!
Er steigt aus dem Fenster.
KATRIN aus dem Fenster ihm nachsehend.
Feind! Ratte! Schwätzer! Willst du dich verpieseln?
In den Nachrichten du jeden Tag zu jeder Stunde;
Schon die Minut‘ enthält der Tage viel.
Ach, so zu rechnen, bin ich hoch in Jahren,
Eh‘ meine Regierungsbeteiligung ich wiederseh‘.
CHRISTIAN.
Leb wohl! Kein Mittel lass‘ ich aus den Händen,
Um dir, du Grünkernbratling, meine Missgunst zu senden.
KATRIN.
O denkst du, daß wir je uns wiedersondieren?
CHRISTIAN.
Ich zweifle nicht, und all dies Sondieren dient
In Zukunft zu meinem süßen Geschwätz.
KATRIN.
O Gott! ich hab‘ ein Glück ahndend Herz.
Mir deucht, ich säh‘ dich, da du unten bist,
Als lägst du tot in eines Umfragetief.
Mein Auge trügt mich oder du bist unbeliebt.
CHRISTIAN.
So, Bioböhnchen, scheinst du meinen Augen auch.
Der Schlafentzug trinkt unser Blut. Leb wohl! leb wohl!
Ab.
2 Gedanken zu „Balkonszenen, komische Vögel und sonderbare Gespräche.“
Ich wusste schon immer,dass die kleinen gelben Büchlein,die Reclam heißen,die Wahrheit beinhalten,auch wenn wir sie oft gehasst haben und vieles nicht verstanden ,so waren sie doch unsere schulischen Begleiter. Nur dem Schellenaffe gelingt es, aus Shakespeare ’s Balkon Szene eine Verbindung zur Realpolitik zu knüpfen. 😉.!!!!👍
da fällt mir das alte Lied ein „Wo mag denn nur mein Christian sein“, das könnte die Katrin jetzt singen, falls sie Entzugserscheinungen hat; in dem heißt es u.a. „Höre ich dieses Rindvieh schrein, so fällt mir gleich mein Christian ein“ (zitiert nach der „mundorgel“)