Die Zahl der Vegetarier steigt stetig. Fleisch per se, aber insbesondere Wurstwaren gelten als Inbegriff einer ungesunden, blutrünstigen und rücksichtslosen Lebensweise. Es fehlt nicht mehr viel, und wer Würste in der Öffentlichkeit isst, wird beäugt werden als würde er eine Burka tragen – aus Wurstpelle. Das Misstrauen beginnt wohl mit der Frage „Was ist da eigentlich drin?“ und endet – wie bei einer Scheidung – mit der Frage „Wie glücklich war das Schwein/die Kuh eigentlich?“. Die Wurst scheint jedenfalls vom Aussterben bedroht.
Doch allen am Abgrund stehenden Wurstfans – vor allem den Mitgliedern des „Vereins zur Förderung des Ansehens der Blut- und Leberwürste“ – sei gesagt: es gibt Hoffnung! Die Wurst wird überleben, denn schon einmal hat sie den Kampf gegen die eigene Ausrottung gewonnen. Lange Zeit galt eine ganz besondere Wurstgattung als vom Aussterben bedroht, die sich nun jedoch wachsender Beliebtheit und Verbreitung erfreut. Wie ein Phönix (oder anderes Geflügel) stieg diese Wurst aus ihrer eigenen geräucherten Asche empor und erlebt nun ein ungeahntes Comeback.
Die Rede ist von der Renaissance des Dackels.
Der Dackel ist Hund gewordene Wurst und damit urdeutsches Kulturgut, beliebt schon bei Kaisern und gefeiert als deutsches Olympia-Maskottchen (1972). Seine Blütejahre schienen jedoch längst vorbei. Als Relikt vergangener Zeiten wurde er gassirundenweise überholt von expressionistischen Dalmatinern, formvollendeten Jagdhunden und fischäugigen Felleinlagen für Handtaschen. Die Wurst mit dem trübseligen Blick schien ausrangiert. Der einstige Volksheld taugte nur noch als angestaubter Kamerad für Förster auf der Pirsch und motzige alte Herren auf dem Weg zum Altglascontainer.
Doch der Dackel, als Inbegriff für Sturheit und Zähigkeit, wäre nicht er selbst, wenn er sich nicht zurückkämpfen und siegreich aus seinem Kaninchenbau hinaus kriechen würde. Der Dackel ist wieder da! Nicht nur steigt die Welpenzahl nach Jahren des Rückgangs wieder und der Teckel verteidigt mit seinen kurzen Pranken seinen Platz als zweitbeliebtester Hund der Deutschen Züchter (Quelle VHD). Er avanciert vielmehr zum Ausdruck von mutigem Stil und gutem Geschmack. Anstatt durch die Wälder der Eifel streift er inzwischen durch die Bioläden von Eimsbüttel. Waldi heißt jetzt Winston oder Wilma. Sein Herrchen ist nicht mehr Jäger, sondern Veganer. Als Wiener Dog füllt er sogar Instagram Feeds und wird zum internationalen Exportschlager. Das Würstchen auf vier Beinen ist schneidig und begehrt.
Der Grund für den Erfolg ist, wie bei vielen Verkaufsschlagern, die Kombination aus gutem Produkt und schwächelndem Wettbewerb. Der Dackel fasziniert und begeistert einfach. Er ist kompakt, handlich, mutig designed, ein bisschen nostalgisch – wie eine en vogue Retrokamera. Seine Sturheit und sein Hang zum Größenwahn sind legendär. Er nimmt es mit Bulldoggen und Briefträgern auf und schmiegt sich im nächsten Moment zuckersüß an den Knöchel seines Herrchens – wie süßer Senf auf eine Bockwurst. Er ist eine Wurst mit liebevollem aber markigem Charakter, kein degeneriertes Zuchtopfer mit Programmierungsfehlern (Mops). Keine Fußhupe in der Größe einer fellüberzogenen Handyhülle (Pekinese). Kein sperriges, stinkendes Alpaca (Golden Retriever). Keine verfressene Robbe (Labrador).
Der Dackel ist der geerdete Dandy unter den Hunden. Insbesondere seine Bodenhaftung fasziniert. Diese Beinlänge, wie kann das sein? Sitzt er, steht er? Man weiß nie, ob der ohnehin sture Dackel einem Befehl gefolgt ist, zu mikroskopisch fein sind die Bewegungen zwischen Liegen, Sitzen und Stehen. German Engineering der besonders feinmotorischen, herzzerreißenden Art. Seine kurzen Beinchen, dazu die im Wind einer Bodenlüftung wehenden Schlappohren und dann dieser unschuldige, fragende Blick, der jeden Permafrost dahinschmelzen lässt – fertig ist Basisausstattung für die Liebe zur Wurst. Wer es ausgefeilter mag, kann sich aus dem kurzbeinigen, aber breiten Angebot an unterschiedlichen Fellbesetzungen, Farbvariationen, Größen und Längen den für sich passenden Dackel zusammenstellen. Die Dackel-Zucht ist hoch entwickelt, die Dackel-Sucht schnell tief verwurzelt.
Und so geschieht es, dass der ikonische Herzensbrecher nicht nur unsere Straßen erobert, sondern auch Kleiderschränke, Küchenregale und Briefkästen erwurstet. Der Dackel ziert mittlerweile Taschen, Schuhe, Pullover und Becher. Nach der Ära des Einhorns, Kaktus und Flamingos nähern wir uns demnach auf leisen Pfoten dem Zeitalter des Dackels. Das hätte man kommen sehen können, nein müssen (welch schlampiger Schellenaffe!). Das Olympia-Maskottchen Waldi war damals schließlich erst der Anfang. Eine Zukunft in der der Bundesadler durch den Bundesdackel ersetzt wird scheint angemessen und vernünftig.
Doch wer nun noch immer nicht überzeugt ist und denkt „Na, tolle Wurst“, schaue bitte kurz in diese Augen und sage mir, dass er für so einen Blick nicht sogar zum Vegetarier werden würde. Der Dackel ist schließlich eh die tollste Wurst.
2 Gedanken zu „Als die Wurst das Laufen lernte – die Renaissance des Dackels“
Wie schön! Endlich, das schon längst fällige ,“Loblied“ auf diesen süüüüüüßen Hund…..der Deutschen!!!! Ich denke es ist sogar eine Liebeserklärung an den Hund der besten Freundin!!! Ach „Burgel“ wir vermissen dich!!!😉 …..auch!
apropos Speisen und Hund, da gibt es den kalauerträchtigen Tafelspitz: Vor vielen Jahren gab es in unserer Kantine als eines von drei Hauptgerichten
Tafelspitz, und ich hab‘ an der Ausgabetheke gesagt „Bitte den Tischdackel“ und ein etwas verzögertes Lachen geerntet