Früher brauten die Nachbarskinder aus Gras, Löwenzahn und Pfützenwasser einen Zaubertrank. Ein Schluck reichte und der Trank entfaltet seine wundersame Wirkung: extreme, nach Wiese schmeckende Übelkeit. An diese bittere Erfahrung muss ich denken, als ich in den kleinen Korb in meinem Arm blicke. Darin liegt schlaffes, von mir gepflücktes Unkraut. Beim Sammeln angeleitet wurde ich dabei von einer Frau mit einem selbstgefilztem Topflappen auf dem Kopf. Ehe ich mich fragen kann, ob man sich von jemandem mit solch einer Kopfbedeckung eigentlich irgendwas im Leben sagen lassen sollte, erklärt der Topflappen, dass er für gewöhnlich bevor er ein Kraut dem Erdboden entreißt das Universum um Erlaubnis fragt. Wie das kosmische Antwortzeichen genau auszusehen hat erklärt er nicht. Während ich vergeblich auf ein „Jo, zieh mich hoch“ des unglücklichen Kleeblattes zu meinen Füßen warte, beantworte ich mir selber die Frage mit „Nein“ und frage mich, wer diese Frau eigentlich dem Erdboden entrissen hat.
Ich bin bei einem Kräutersmoothie Lehrgang – mutmaßlich mit anschließendem grünem Stuhlgang. Wie es dazu kommen konnte, erschließt sich mir nicht. Und so streife ich Löwenzahn zwischen den Zähnen knirschend mit einer sehr euphorischen Gruppe angereister Großstädter über Lichtungen und Trampelpfade des Wendländer Waldes. Doch die allgemeine Euphorie, das fröhliche Rupfen und quirrlige Diskutieren über Geschmackserlebnisse und Artendeutung finden eine jähe Unterbrechung als die Frage gestellt wird „Was ist eigentlich mit dem Fuchsbandwurm?“. Die trockene Antwort aus der Gruppe „Auf jeden Fall tödlich.“ Tödlich ist auch das abschließende Geschmackserlebnis des Lehrgangs. Ich frage als eine der wenigen würgenden Teilnehmer nicht nach dem Rezept. Rasenmähen kann ich mir auch so merken.
Unsere kulturelle Landpartie hat gerade erst begonnen. Doch scheint der kulinarische Höhepunkt bereits erreicht. Angeleitet durch ein dickes Buch der Möglichkeiten ziehen wir dennoch weiter – auf der Suche nach unterhaltsamen Orten, Menschen und Erlebnissen. Und wo, wenn nicht in einer Kommune kann man genau das erleben? Beobachtet von ungeduschten, ungekämmt, in Erdtönen gekleideten Menschen, die mit dem Onlineshopping auch das Lachen verlernt zu haben scheinen, streifen wir als nächstes über einen schönen, alten Gutshof. Ob wir nicht doch versehentlich beim Lama Trekking gelandet sind, lässt sich nicht abschließend klären. Um meine mir noch nie so weiß erscheinenden Markensneaker aus Leder zu tarnen schnappe ich mir ganz kommunesque einen herumliegenden Fußball und kicke ein bisschen. Doch nicht lange. Der Hofhund zeigt sich unsolidarisch und neidet mir mein Betreiben.
Die nächste Etappe ruft sodann – lauter als das Fiepsen des Panflötenspielers. Doch wohin soll die Sojaschnitzeljagd als nächstes gehen? Beim Stöbern durch das Programm scheppert es in meinem Kopf. Ein hirnbetäubender Lärm. Zu schwer fällt die Wahl zwischen „Trancereise zum Geistwesen Pflanze“, „Tiergestützte Interventionen mit Alpakas“ und „Pferdewanderung und Schamanische Rituale“ (das passiert selten, aber dies ist keine Ironie!). Sollen wir etwas selber gestalten, egal ob aus Knete („Workshop zum figürlichen Modellieren mit Knete“) oder Müll („Perlendrehen aus Recyclingmaterialien“)? Oder doch dem „Barfußgehen“ beiwohnen und beim „Algenkiosk“ vorbeispazieren?
Nach einem Besuch in der lokalen Brauerei medikamentös richtig eingestellt schlagen wir schließlich ohne trancenhafte Umwege im Kulturzentrum auf. Das Herz des Anti-Kommerz pocht im Rhythmus von Balkanbeats und keltischen Harfen. Das bunte Treiben in der kleinen Zeltstadt erinnert an ein Ritterspiel. Handleser, Feuerspucke und sehr viele Narren erwarten uns. Und plötzlich stehe ich mitten auf der Tanzfläche vor einer großen Bühne. Um mich herum bewegen sich menschliche Körper. Mit geschlossenen Augen schwingt, hüpft, singt und fuchtelt die Menge um mich herum. Ich erkenne keinen Rhythmus. Keinen Stil. Sind nicht nur ihre Augen, sondern auch ihre Ohren verschlossen?
Und so stehe ich dort mit sehr weit geöffneten Augen. Perplex und mich fragend: bin am Ende ich es die blind ist? Blind geworden für die Lebenswirklichkeit anderer Menschen? Ignorant geworden in der Blase meines eigenen Milieus? Sind sie es, die „spinnen mit der Handspindel“ und dem eigenen Kopf? Oder wirke ich nicht vielmehr ich mit meinem konformen, geduschten Äußeren langweilig kontrolliert und grotesk? Denn eines muss ich gestehen: dieser Tag war alles andere als langweilig. Auf der Heimfahrt gibt es dennoch nur noch eine Lösung: eine Mundspülung für alle Sinne. Das kompromisslose Kontrastprogramm. DJ Bobo. In voller Lautstärke. Und so widme ich mich am Ende eines langen, kuriosen Tages ganz ohne Lehrgang und Schulung doch noch der „Einführung in die traditionelle japanische Lachkunst“.
Ein Gedanke zu „Kuriose Landpartie – ein Tag im Wendland.“
Hierzu gibt es von mir nur einige Aussagen aus dem Rheinischen Grundgesetzt.
Jede Jeck ist anders !
Es hät noch viel schlimmer komme könne!
Brochen wir nit……fot damit!
Man muss auch jönne könne!
In diesem Sinne…..lassen wir doch jedem sein Plesierchen und sind froh wenn wir am Ende eines solchen „Ausflugs“ gesund und lachend wieder in unseren Alltag fahren können…..Um eine Erfahrung reicher😁
Aber ich bewundere den Mut und die Neugier des Schellenaffen sich auf so einen Exkurs einzulassen. Aber was tut ein Schriftsteller nicht alles ,für ein gutes Buch……hier ein guter Artikel….mal wieder 👍!