Das Glück der Erde.

Ich reise. Nicht weil ich mich besonders gerne mit leicht gekleideten, sonnenverbrannten Touristen umgebe und in Restaurants, die mit Fotoalben anstatt mit Speisekarten aufwarten, esse. Nicht, weil ich gerne in meiner Landssprache an andern Menschen vorbeisprechen und “Schnipo“ mal mit einem Klecks Sonnencreme statt Mayonaise verspeisen möchte. Ich reise, weil ich andere Kulturen, Menschen, Landschaften und Lebensweisen kennenlernen möchte.

Daran muss ich denken als ich in einem klapprigen Transporter ohne Gurte und richtig schließender Tür durch kroatische Hügellandschaften ruckele. Ob der Wagen nur nach Stallluft oder doch nach Organhandel riecht, vermag ich nicht zu beantworten. Und so rattere ich meinem nächsten Abenteuer entgegen: eine Woche Wanderreiten durch Dalmatien. Eine Woche an deren Ende ich weder Organe, noch meine Zähne oder den Lebenswillen, aber vor allem eines verloren haben sollte: Alltagssorgen. Und einen Handschuh.

Die Reise auf den Spuren von Winnetou beginnt zunächst mit einem Testritt und einem eigentlich einfachen Akt. Man holt Pferde von einer Weide, putzt und sattelt das Getier und reitet los. Die „einfache“ Bilanz: drei Pferde reißen sich los und galoppieren davon, eines zertrümmert eine Box und den Optimismus seines Reiters, diverse Halfter hängen nur noch in Fransen an den augenrollenden streitbaren Rössern und ich prüfe noch mal schnell meine Auslandskrankenversicherung. Die von ihren Freunden getrennten, aufgewühlten Pferde erreichen damit ihr eigentliches Ziel: Pferdemädchen verschrecken, die am Ende gar nicht mehr so richtig losreiten wollen. Doch gibt es kein Zurück mehr. Und so tänzeln wir los, ein Haufen Ponys auf Koks und ihre Reiter auf dem Weg in den sicher geglaubten Tod. Ob man auch noch mit zertrümmerten Organen handeln kann? Ehe ich den Gedanken zu Ende spinnen kann, steht der erste Galopp an. Mein „Ach du lass mal stecken“ verhallt im Trampeln der davontobenden Pferde. Ich befinde mich auf einem vierbeinigen Erdbeben, rase über ein endloses Feld und gewinne erst durch eine im Gebüsch liegende Mitreiterin wieder das Gefühl für oben und unten zurück. Da muss also unten sein. Und so sitzen wir am Abend des ersten Tages beisammen und sehnen uns nach bebilderten Speisekarten.

Doch wie der Sonnenschein nach einem donnernden Gewitter grüßt der nächste Tag. Mensch und Tier finden zur Ruhe und zueinander. Und so wird der Blick frei für die Welt jenseits des explosiven Fellbüschels. Frei für einsame Berglandschaft, grüne Hügel, erdbeerrote Klatschmohnfelder, farbenfrohe Blumenwiesen und pure Einsamkeit.

Die Nase atmet den Duft von sonnengewärmten Kräutern. Kein Geräusch außer das Rufen des Kuckucks und das gleichmäßige Klappern der Hufe begleitet uns. Wir reiten durch eisblaue Flüsse. Rasen im Jagdgalopp über unendliche Felder. Die Freude und Energie der Pferde springt auf uns über. Je schneller wir reiten, desto langsamer kreisen die Gedanken. Kein Handy, kein Verkehr, keine Entscheidungen, keine Pläne. Wir folgen unserem Guide. Schmetterlinge weisen uns den Weg.

Wir rasten im Schatten großer Eichen neben den grasenden Pferden. Trinken Schnaps, essen frischen Käse und deftigen Eintopf. Schwimmen im eiskalten Bergsee und fühlen uns frei. Weg sind die Gedanken an Organhandel. Die Erinnerung an den erste Tag wirkt wie ein skurriler, melodramatischer Traum. Mensch, Tier und Natur wirken im Einklang. Doch dann meldet sich letzter mit einem eindrücklichen Klang zurück: Donnergrollen in der Ferne.

Während die Reiter sich vergeblich an Verhaltensregeln für Gewitter zu erinnern versuchen, sich in Regenkleidung zelophonieren und am Pferderücken festklammern wie eine Wäscheklammer an windumtosten Leinen, trotten die Tiere stoisch ihres Weges. Mit vom Regenwasser getränkten Schuhen galoppieren wir über Äcker, Schlamm spritzt, Blitze schlagen unsympathisch nah ein, und ich denke nur: wenn dich jetzt der Blitz trifft stirbst du wenigstens sehr, sehr glücklich. Doch nach einer Woche in der kroatischen Wildnis, Gastfreundschaft und Ursprünglichkeit trifft mich einzig eine Erkenntnis wie ein Blitz: es braucht so wenig im Leben um glücklich zu sein. Eine Auslandskrankenversicherung braucht es dafür nicht.

Ein Gedanke zu „Das Glück der Erde.

  1. Hierzu, kann ich arme Daheimgebliebe, nur sagen, der Schellenaffe muss eine wunderbare Reise/Reiterfahrung gemacht und überlebt haben 😉. Hoffen
    wir, als begeisterte Leser, das dies auch für die weitere Reisezeit gilt und freuen uns schon auf den nächsten Montag 😊!!!! Make Monday great , lieber Schellenaffe!!!

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