Hoffnung. Hoffnung ist eine zerbrechliche Pflanze, insbesondere in diesen von populistischen Gedankenfürzen und welkenden Normvorstellungen geplagten Zeiten. Doch es gibt sie. Zart, unschuldig und dennoch omnipräsent. Die Welt steht nicht am kargen Abgrund, nein die Welt ist eine nach Gras und Gülle duftende Blumenwiese. Die sprudelnde Quelle dieser euphorisierten Weltanschauung: Tinderland.
In diesem wundersamen Land leben die Bewohner friedlich und glücklich einen Wisch voneinander entfernt. Ob links oder rechts, die Nachbarn reiten mit Selfiesticks bewaffnet die Wellen des Lebens, sind travel addicted und sapiosexuell (was auch immer das sein mag, aber es klingt zumindest nicht wie eine außergewöhnlich schwere Form der Beleidigung oder Behinderung). Drall und bierselig posieren sie in Dirndl und Lederhosen, um im nächsten Moment in gummimattierten Spiegelsälen ihre atmungsaktiven Körper und athletischen Sportoutfits zu präsentieren. Sie fahren Ski oder Rennrad, niemals U-Bahn. Sie sind Gründer, CEOs, selbstständige „Irgendwas – vermutlich sapiosexuelles – mit Medienmacher“. Sie tanzen den Discofox takt- und wischsicher (links, links, rechts). Sie stehen mit beiden – im Durchschnitt 1.78m langen Beinen – mitten im Leben. Fest und unverwischbar.
Doch die unter der rot flammenden Flagge geeinte Nation ist in Gefahr. Mitbürger links und rechts des Superlikes sehen sich von einer düsteren Macht bedroht. Sie zucken zusammen (meist im Bereich der Körpermitte), wenn von dieser finsteren Bedrohung die Rede ist. Stand Mittelerde unter dem Bann ungewaschener, blutrünstiger Orgs, so scheint Tinderland von einer noch stoßkräftigeren wilden Horde bedroht zu sein.
ONS.*
Nur hinter vorgehaltenen Daumen redet man von dieser abscheulichen Bedrohung. ONS fallen im Dunkel der Nacht nackt, stöhnend und keuchend über ihre Opfer her und lassen diese perfide befriedigt zurück. Danach verschwinden sie ohne ein Wort des Triumphes in die dunkle Ewigkeit, während die Ausgewischten vergeblich auf zwei blaue Häkchen ihrer Whatsapp Nachrichten warten. Doch das Tinderwonderland wäre nicht ein Land der Hoffnung, Zuversicht und Sapiosexualität, wenn es sich nicht widersetzen würde. Die Wischlappen wehren sich mit Wischpetitionen und Spruchbändern. Sie skandieren dabei mantrahaft immer wieder eine Parole:
„Keine ONS! Keine ONS!“
Doch bei all den eifrigen „Onsländer raus“-Rufen übersehen die Tinderaner den zeitgleich stattfindenden, viel schleichenderen Verfall ihrer Gemeinschaft. Eine überwischte Gefahr. Eine geradezu transzendente Bewegung unermüdlicher Traditionalisten hat sich in Gang gesetzt. Ihr politisches Programm ist in seiner Simplizität brillant und zerstörerisch zugleich. Es spielt nicht nur den ONS in die Karten, es macht gleichzeitig mühsam gestellte Fitness-Studio-Schnappschüsse, Surf-Urlaube und ein Interesse an Sapiosexualität obsolet. Vorbei die wischiwaschi Welt. Die unterschätzte Bedrohung lässt sich auf eine ganz einfache Formel reduzieren:
„Hey. Dein Glas ist leer. Darf ich dir einen Drink ausgeben?“
*ONS ist eine Abkürzung für One Night Stand und die Tatsache, dass du diese Erläuterung lesen musst spricht vermutlich eher für als gegen dich.
4 Gedanken zu „Tinderland – Paradies sapiosexueller Weltenbummler von dunkler Macht bedroht“
So, nun ist es passiert!!!! Ich, der immer kommentierende Fan des Schellenaffen , kann zu diesem Artikel nichts passendes kommentieren!!!🤔
Hier bin ich nicht kompetent und schon garnicht erfahren genug. Tinder…Ons…oder ähnliches sind mit vollkommen fremd und….egal. Sorry! Aber gut das wir…der Schellenaffe, darüber gesprochen haben!😊
trippelB zum Trost: Den Begriff „sapiosexuell“ kannte ich bis heute auch nicht, aber wie fast immer hilft Wikipedia weiter, demnach entstand er schon in den 90er Jahren und wie kaum anders zu erwarten im englischen Sprachraum – wenn ich die Sache richtig verstehe, könnte man das Ganze auf den simplen Nenner bringen (in Abwandlung eines alten etwas ordinären Werbespruchs aus Köln) „Geist ist g…“
und statt ONS sag einfach „ens“, das ist kölsch und heißt was ganz anderes – oder? (lt. Wörterbuch heißt es „einmal“, na ja)
Nein lieber Michael….wat wahr is bleibt wahr. Du hast et ufen Punkt jebracht….Wie Rheinländer sprich auch der Bonner 😊sagt
Ahso, ONS! Wieder was gelernt 😉