Unentschieden.

Scheideweg Entscheidungen unentschieden

Du hast dich entschieden, diesen Text zu lesen. Du hättest deine begrenzte Zeit auch anderweitig nutzen können, zum Beispiel um dir dieses Video anzuschauen (hier klicken) oder in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit mit dem Arbeitskollegen, den du nicht magst, zu sprechen. Du hättest vielleicht erfahren können, dass er leidenschaftlicher Train-Spotter ist, dir Dampfloks auf seinem Handy anschauen und feststellen können, dass dich sein Geruch an deinen Großvater erinnert. Herb, leicht fischig. Du hättest beginnen können, ihm von deinem Großvater und dessen Leidenschaft für das frühmorgendliche Angeln von Karpfen zu erzählen, einfach nur weil du nicht gewusst hättest, was du ihm sonst erzählen solltest, um die Flut an Eisenbahnbildern zu stoppen. Der attraktive Geschäftsmann mit Headset auf dem Sitz neben dir hätte sich in das Gespräch einmischen können, mit der Bitte man möge leiser sprechen, da er sich gerade in einer Telefonkonferenz zur Vertragsverhandlung mit Geschäftspartnern in Guangzhou befände. Zudem sei die Karpfenfischerei eine äußerst stumpfe Art des Angelns und er habe sich der Harpunen basierten Thunfisch-Jagd verschrieben. Während er scheinbar dem Zugabteil etwas auf Chinesisch sagt, hätte er auf seinem stattlichen Smartphone durch eine Flut an Bildern gewischt, auf denen er mit großen Fischen auf dem Arm zu sehen gewesen wäre. Du hättest vor dem ersten Kaffee in die weit aufgerissenen Augen toter Tiere geblickt und entschieden, es sei Zeit auszusteigen. Egal wo du gerade gewesen wärst. Du wärst an der falschen Haltestelle ausgestiegen und wärst in die Arme eines alten Schulkameraden gelaufen, der…und so weiter.

Aber nein, du hast dich heute Morgen für den Schellenaffen entschieden – das freut mich natürlich ungemein, aber du hast dich damit gegen unzählige Alternativen, gegen unzählige andere Geschichten, die du hättest lesen oder selber schreiben können entschieden. War dir diese Tragweite deines Beschlusses bewusst? Vermutlich nicht. Wir entscheiden jeden Tag, jede Minute so viele Dinge. Würden wir für all diese Entscheidungen eine Pro-Contra-Liste erstellen, kämen wir nicht einmal dazu eine Liste zu erstellen, weil wir uns nicht für den Stift, mit dem wir die Liste verfassen wollen, entscheiden könnten. Die Katze beißt sich in den Schwanz – oder in die Pfote. Das ist ganz ihre Entscheidung.

Scheideweg Entscheidungen Pro Contra Liste

Das Leben wirkt manchmal wie eine einzige Aneinanderreihung von Entscheidungen, nichts passiert von alleine. Welchen Beruf soll ich wählen? Welchen Partner? Welchen Mobilfunkvertrag? Was ziehe ich heute an? Löse ich eine Fahrkarte? Schaue ich dieses Katzenvideo an? Mal sind die Entscheidungen unterbewusst, mal gewaltig, mal einfach, mal kompliziert, mal banal, mal unerträglich. Das Gefühl stellt sich ein: Entscheide ich mich für etwas, bedeutet dies, dass ich mich gleichzeitig gegen etwas anderes entschieden habe. Egal, ob ich das „andere“ benennen oder begreifen kann.

Stehen wir vor großen Lebensentscheidungen, stehen wir oft wie gelähmt vor diesem bedrohlichen Scheideweg. Biege ich links oder rechts ab? Gerade große Lebenskreuzungen wirken oft weniger wie eine Entscheidung zwischen links und rechts, zwischen a und b, wie bei der Menüwahl im DriveIn. Es sind eher Entscheidungen zwischen a.567.xd.12 oder c.234.jk.78. Zwischen 43° in nordöstlicher Richtung und 2,345 Lichtjahre südlich des Sternenbildes des Zentauren entlang. Selbst das Nichtstun, wird zur bewussten Entscheidung. Behalte ich meinen Partner, meinen Job, meine Wohnung oder ziehe ich mein Leben um? Egal welchen Weg ich einschlage, eines ist klar, ich kann nicht mehr zurück fahren. Ich kann versuchen, umzukehren, aber der Weg wird nicht mehr der gleiche sein. Den selben Weg kann ich nicht erneut befahren. Es gibt keine Funktion des „Bearbeiten > Rückgängig“. Die Route wird nach jeder Entscheidung neu berechnet. Doch gleichzeitig werde ich nie erfahren, wie es gewesen wäre links abzubiegen. Hätte es hier mehr Knipser, Staus und Unfälle gegeben? Stehen wir am Scheideweg, verlaufen wir uns schnell in der Konjunktiv Avenue. Hätte, könnte, würde – beschreibt unseren mitunter verzweifelten Versuch, die Ereignisse zu kontrollieren und die Folgen zu berechnen. Wir versuchen zwischen Bauch und Verstand, zwischen Herz und Hirn zu vermitteln. Und doch sind die Ereignisse hinter der nächsten Linkskurve auf dem Scheideweg und die Geschehnisse auf der Konjunktiv Avenue schlussendlich unergründlich.

Denn ist das Leben nicht vielmehr eine einzige Aneinanderreihung von Zufällen, deren Wahrscheinlichkeit wir versuchen mit unseren Entscheidungen zu beeinflussen? Wenn ich mich entscheide, nach Australien zu reisen, erhöhe ich die Wahrscheinlichkeit ein Känguru in freier Wildbahn zu sehen – signifikant. Garantieren kann mir dies nur niemand, ebenso wie nicht auszuschließen ist, dass im Hamburger Hafen ein Känguru in einem Hochseecontainer entdeckt wird und auf der Flucht vor unerfahrenen deutschen Hundefängern durch meine Straße hüpft. Genau in dem Moment, in dem ich am Flughafen auf meinen dreißigstündigen Flug warte.

Eigentlich sollte uns diese Erkenntnis beruhigen. Das Leben ist am Ende so unergründlich wie die Wege der Kängurus. Entschuldigt sei an dieser Stelle die saloppe Ausdrucksweise der Schlussworte, aber ich habe mich mehr oder weniger bewusst an dieser Stelle dafür entschieden folgende Frage – mit einem Augenzwingern – zu stellen: Geht am Ende nicht auch der Scheideweg nur am Arsch vorbei?

Scheideweg Entscheidungen unentschieden

2 Gedanken zu „Unentschieden.

  1. Ganz entgegnen meiner sonstigen Gewohnheit, habe ich mich heute, hier in meinem kleinen Paradies namens Finca Simona, zu gar nichts entschieden. Der Schellenaffe drängte sich mir einfach, durch seine Werbung auf und da konnte ich natürlich nicht wieder stehen ihn zu lesen!😊
    Entscheidungen werden mir gerade abgenommen! Hier entscheiden andere und ich reagiere nur! Die Sonne ,der Magen, der Pool,meine trockene Kehle, meine Haut…..alle signalisieren mir was sie wollen und ich reagiere (vielleicht) darauf. Ich lege mich in die Sonne, ich esse, trinke, schwimme, creme mich ein, geh in den Schatten! Die Entscheidung so zu leben (für eine kleine Weile) ist vor vielen Monaten gefallen,und ich muss sagen, diese bereue ich mit Sicherheit nicht 😎. Mein Fazit, Urlsub ist immer eine gute und richtige Entscheidung 🤗

  2. ich habe den Text gelesen und auch das Video angeklickt – und beides nicht bereut. Den Katzenvergurkerinnen wäre vielleicht zu empfehlen, es mal mit Gurkensalat zu versuchen, lecker mit Milch angemacht, das würde den Katzen vielleicht gefallen, wäre aber natürlich kein Gag …

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