Kleider machen Leute – zu Wollidioten.

Mode Kleidung Batik

Es war einmal eine weiche, weiße Socke. Die Tennissocke. Vor langer Zeit begab sie sich auf Wanderschaft. Sie verließ ihre Heimat, den Tennisplatz. Zu viel Asche, zu viel Schweiß ließ sie davon laufen. Zunächst verschwand sie im Untergrund, wurde selten gesichtet, meist als praktischer Schuhputzlumpen oder als Markierung weißer, deutscher Urlauberbeine. Beinahe wurde sie vergessen. Doch die Tennissocke wäre nicht die Tennissocke, wenn sie sich nicht auch im größten Rückstand, beim Matchball gegen sich, sich noch zurückkämpfen würde. Auf leisen Sohlen gelangte sie zunächst nach Paris, wurde dort von Modedesignern, die immer an das Gute in der Socke glaubten, aufgegriffen und stilvoll aufgepäppelt. Plötzlich lief die Socke über Laufstege, wurde von Prada verkauft und erlebt dreißig Jahre nach ihrem Höhenflug und Absturz ein kuschelweiches Comeback. Sie wurde zum Dauerläufer auf Instagram und ziert nun voller Stolz die Füße ganzer Szeneviertel. Heute gilt, was vor wenigen Jahren undenkbar war:

Willst du die Straße rocken, trage weiße Tennissocken.

Die Lebensgeschichte der Tennissocke ist Musterbeispiel für das, was wir gemeinhin Mode nennen. Mode ist, wenn man denkt „Ich muss es tragen“. Wenn man nach zehn Jahren Fotos von sich sieht und denkt „Ich muss es vergraben“. Und wenn man nach zwanzig Jahren die Vogue durchblättert und denkt „Ich muss es ausgraben“.

Mode Kleidung Cap mit Propeller

Doch wo hört Kleidung auf und fängt Mode an? Kleidung ist zunächst einmal Funktionskleidung: sie besitzt die Funktion zu Wärmen und Geschlechtsteile im öffentlichen Raum verbergen. Das spart Erkältungen und Erklärungsprobleme. Doch ist nicht jede Form der Garderobe auch immer eine Aussage über uns selbst, egal ob gewollt oder unbeabsichtigt? Unsere Verhüllung, sei es die der eigenen Füße, entblößt viel von uns. Denn Kleidung kann nie nicht kommunizieren. Bekleidung ist auch immer Verkleidung. Das fängt nicht erst bei Uniformen und Business Outfits an.

Die praktische Jack Wolfskin Jacke kommuniziert – zumindest mir – ich bin praktisch veranlagte Hausfrau mit Hang zu praktischen Kurzhaarfrisuren und praktischem Urlaub an der nahen Ostseeküste. Ich habe meinem Mann praktischerweise direkt das gleiche Jackenmodel gekauft. So sind wir Mensch gewordenes Memory und sorgen für Unterhaltung in deutschen Fußgängerzonen, wie praktisch. Ein quadratischer, bunter Fjällräven Rucksack sagt wiederum, ich bin modebewusst, aber risikoavers. Solvent, aber dezent. Denn mein Gepäckstück bietet weder Tragekomfort noch wirklichen Stauraum – dafür einen kaum erträglichen Preis und die Möglichkeit, sich von der Masse durch die Farbwahl abzuheben. So deutlich wie sich eine Mandarine farblich von einer Orange unterscheidet. Ein Levis Shirt teilt der Umwelt vielleicht mit, dass ich sozialen Medien und Caro Daur folge. Eine randlose Brille sagt, dass ich gerne so unauffällig wie mein Brillengestell durchs Leben laufe und in der örtlichen Volksbank bis zur Randlosigkeit arbeite. Weite Pluderhosen in Erdtönen legen ein Engagement für die Ökumene und gegen das Kükenschreddern nahe. Pelzbommel an den Schuhen oder Mützen mit Propeller – ok, die lassen einen einfach sprachlos zurück.

Mode Kleidung Schuhe mit Fellpüschel

Doch wer legt diese Bilder und Assoziationen eigentlich fest? Was beeinflusst unseren Geschmack? Mode ist immer eine kurzzeitige Momentaufnahme des Zeitgeistes. Schaut man sich allein  die Entwicklung der Jeans an, merkt man, wie wandelbar der eigene Geschmack doch ist. Als Ende der Neunziger die ersten Röhrenjeans ihre (Wieder-)Geburt erlebten, fragte ich mich, warum man durch die baumwollbasierte Volllaminierung der eigenen Schenkel auf deren Unförmigkeit aufmerksam machen wollte. Doch Naht um Naht wurden die Hosen um mich herum schmaler und mein Protest kleiner – bis ich irgendwann meine letzte Schlaghose kopfschüttelnd wegwarf und mich fragte, warum man durch unförmige Textilverschwendung in Knöchelnähe die Optik eines behangenen Brauereipferdes erzielen wollte. Und wenn ich nun heute Karottenhosen an jungen, schlanken Frauen sehe, frage ich mich, ob diese die westliche Form der Burka sind oder lediglich eine Hommage an unsere Mütter. Ich ahne bereits, dass ich in wenigen Jahren Karottenhose tragend meine Röhrenjeans zum Altkleidercontainer bringen werde. Doch eigentlich sollte mir Möhre wie Röhre doch völlig egal sein.

Mode Kleidung Ananasfrisur

Denken wir, dass Mode Ausdruck des persönlichen Geschmacks und damit ein Ausdruck von Freiheit ist, übersehen wir gerne, dass erst durch die Wahrnehmung Anderer Kleidung zu Mode, Socken zu Helden ohne Strumpfhosen werden. Ob Socke oder Jeans, die Beispiele zeigen, wie schnell sich Mode und das, was sie suggeriert, ändern kann. Und wie sehr diese im Auge des Betrachters, aber auch im Auge des Trägers liegt. Denn werden deutsche Mallorca-Urlauber auf einmal zu Modepäpsten, weil sie Tennissocken tragen?

Wenn man ehrlich ist, ist es doch eigentlich alles Jacke wie Hose.

 

P.S.: Wer übrigens weitere visuelle Inspiration – sei es für den nahenden Karneval oder ein besonders mondänes Büro-Ensemble sucht – darf sich gerne hier erneut anregen lassen: Avantgarde und Altkleider – ein Ausflug in die Kunstszene.

Ein Gedanke zu „Kleider machen Leute – zu Wollidioten.

  1. Das jeder Jeck anders ist weiß der Rheinländer per se! Allein schon durch die 5.Jahreszeit die gestern „eingeläutet“ wurde! 🤡Aber für mich bedeutete die unerschöpfliche Vielfalt an „Alltags-Verkleidungen“auch ein großes Glück und Lebensfreude! Denn es gibt kein größeres Vergnügen, für mich ,in einem Straßencaffe zu sitzen und die an mir vorbei ziehenden Modeerscheinungen zu bestaunen!
    Unser Umwelt wäre soviel trister, wenn es nicht diese Vielfalt an (sicher manchmal an die Schmerzgrenze gehenden) Verkleidung /Lifestyle’s geben würde!
    Auch diesmal hat der Schellenaffe den Nagel auf den Kopf getroffen!👍 Alles egal! Hauptsach mir han Spaß…..Träger, wie Gucker 😊

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