Stehe ich im Telefonbuch? – Unterwegs in der Vergangenheit.

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In der nebligen Phase zwischen Wachsein und Einschlafen kommen einem in der Regel die wirrsten Gedanken und Einfälle. Ohne eine sinnvolle Herleitung sind sie plötzlich da. Wie kleine Blitze halten sie das Gehirn vom Wegdämmern ab. Und zack ist sie da, diese Frage, die völlig belanglos ist und einem doch keine Ruhe lässt: stehe ich eigentlich im Telefonbuch?

Diese einfache Frage löst eine Kette an Gedanken aus. Gibt es das Telefonbuch eigentlich noch? Warum besitze ich überhaupt einen Festnetzanschluss? Warum heißen die Gelben Seiten nicht Beige Blätter?

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Die Frage nach der eigenen Katalogisierung beschäftigt weniger, weil man sich ja an die eigene Telefonnummer nicht erinnert und diese gerne nachschlagen würde. Vielmehr fragt man sich, ob man Teil eines beinahe vergessenen Reliktes ist. Eines seitenstarken und doch inhaltsarmen Grußes aus der Zeit, in der man sich noch Nummern einprägte, ebenso wie man Wegbeschreibungen geistig skizzierte und Einkaufszettel schrieb. Eine Zeit, in der man sich nicht vorstellen konnte, dass man einmal fremde Autos mit dem Handy öffnen und ausleihen würde. So unvorstellbar es uns heute erscheint, eine Telefonzelle zu benutzen (und überhaupt erst einmal zu finden), so abwegig erschien es, ohne Stadtplan in einer fremden Stadt umherzulaufen oder zu „googeln“ wann der nächste Bus fährt.

Teledisco Telefonzelle Vergangenheit Nostalgie

Googelt man heute in epischer Intensität allerlei Banalitäten, verbrachte man früher sehr viel Zeit damit, Dinge zu zusammenzufalten. Stadtpläne, Busfahrpläne, Tageszeitungen, mitunter die eigene Nachbrut. Ebenfalls zur Stärkung der eigenen Fingerfertigkeit und Geduld spulte man Kassetten auf und benutzte Telefonwählscheiben. Heute wird die Geduld erprobt, wenn zum fünften Mal die Werbung ertönt „Nervt dich diese Werbung? Dann wechsle jetzt zu spotify Premium.“ Die Lindenstraße wird eingestellt und irgendeine neue Netflix-Serie wird als der heiße Stoff für Seriensuchtis angepriesen. Auf dem Fernsehtisch ist auf einmal Platz für eine hübsche Vase, seit der Videorekorder dem DVD-Player und dieser schließlich einem monatlichen Dauerauftrag gewichen sind. Heute lacht man über mobilen Edge-Empfang, während man früher, während sich das Modem melodisch einwählte, noch schnell seine Bio-Hausaufgaben erledigen konnte.

Und so geschieht es, dass man plötzlich an längst vergangene Gegenstände und Gewohnheiten denkt. Man denkt an früher. Man wehrt sich vehement gegen das „Früher war alles besser“ alter, zorniger, weißer Männer und doch ertappt man sich dabei, auf einmal so etwas wie Nostalgie zu empfinden. Ist man erwachsen, wenn es ein Früher gibt? Egal, was für ein Früher? Denn früher war eigentlich gar nichts besser. Es scheint ohnehin ein kurioser Zufall zu sein, dass man es bis hierher geschafft hat und irgendwie von a nach b, von damals nach jetzt gekommen ist. Früher war vieles „man wusste es nicht besser“. Es war einfach anders. Und dieses Anderssein scheint Klick-, Bit- und Appweise zu verschwinden. Leise und doch so schnell verändern die Algorithmen unseren Rhythmus. Und man fragt sich, wohin die Reise geht? Blickt man in zwanzig Jahren auf unsere Zeit und lacht herzhaft über Tastaturen, Alexa und die Hamburger S-Bahn (ok, das tut man heute schon)?

Asbach Uralt Vergangenheit Nostalgie

Ebenso wenig wie man das Morgen kennt, kann man das Jetzt festtackern (ein Gegenstand, der vermutlich ebenfalls bald Hand in Hand mit der Büroklammer davontackert). Man kann lediglich die Erinnerung an das, was einmal war, wachhalten und ab und zu auf das Früher zurückspulen und die gespeicherten Erinnerungen abrufen. Egal, ob die Erinnerungen auf einer Diskette oder im Hirn eines personalisierten Bioandroiden mit den Gesichtszügen eines George Clooneys gespeichert sind. Egal, wie „Asbach Uralt“, der Geist der Vergangenheit irgendwann erscheint, ohne dieses Früher ist das Jetzt unerklärlich.

So schwer die Vorstellung unserer Zukunft ist, so einfach sind wenigstens die Antworten auf die schlafraubenden Fragen der Gegenwart: ich stehe nicht im Telefonbuch, weil ich bei meiner Anmeldung damals irgendein Häkchen nicht gesetzt habe, um Werbeanrufe zu umgehen. Die Anrufe erhalte ich nun jederzeit mobil erreichbar auf meinem Handy. Ja, es gibt die Gelben Seiten, ebenso wie das Telefonbuch und das Örtliche weiterhin. Ohne Ö fehlt dir ja auch was. Ich besitze einen Festnetzanschluss, weil ich wie jeder Bürger erpresst wurde: Du bekommst einen Internetanschluss, wenn du diesen nutzlosen Festnetzanschluss dazukaufst. Du brauchst ihn nicht, aber wir, dein fürsorglicher Telekommunikationsdienstleister das Gefühl, dir ein Paket verkauft zu haben. Gegen einen Aufpreis hättest du einen Internetanschluss ohne Telefon bekommen können, aber dafür warst du ja zu geizig. Die Gelben Seiten heißen Gelbe Seiten, weil Braune Blätter – machen wir uns nichts vor – einfach besch..eiden klingt. Da wurde in diesem „Früher“ mal was etwas mit Weitblick entwickelt.

Ein Gedanke zu „Stehe ich im Telefonbuch? – Unterwegs in der Vergangenheit.

  1. Es ist einfach herrlich ,wie der Schellenaffe es schafft, vom Telefonbuch über Asbach Uralt (Name ist hier schon bezeichnend) zu unserer heutigen Sichtweise auf die Alltagsdinge zu kommen!!! Ganz nach dem Motto, was wäre die Zunkunft, wenn wir heute nicht aus der Vergangenheit lernen!? Ein wunderbarer Artikel zum schmunzeln aber auch zum Nachdenken über unser heutiges hektisches klicken, googeln, posten, chaten!? Anwesende nicht ausgenommen!😉
    Für mich, als Senior, auch eine interessante Erfahrung über mein „Damals “ zu lesen, stimmt ich bin ja auch noch mit Falk Plan, Telefonregister ,Briefen, und ASEAG-Busplan aufgewachsen und bestens im Heute (und am Ziel) angekommen….so schlecht war’s doch wirklich nicht! 😊

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