Die Greta-Frage.

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Greta segelt. Um die Welt. Um die Welt zu verändern. Greta fliegt nicht um die Welt, um an einer Klimakonferenz teilzunehmen. Greta lebt vor, wie man es anders machen kann. Sofern man einen Magen besitzt, der so stark ist wie der eigene Wille.

Und doch lebt Greta vor, wie man es nicht unbedingt besser machen kann. Denn Greta, das mutige schwedische Mädchen, reist nicht alleine über den dunklen, tiefen Atlantik. Sie reist mit einer professionellen Segelcrew. Da Segeln, anders als selbst der holperigste Ryanairflug, eine echte Strapaze ist, muss die Crew für den Rückweg ausgetauscht werden. Per Flugzeug.

Da beißt sich die Schwedin also in den Pferdeschwanz und die Öffentlichkeit freut sich hämisch. Sie rechnet akribisch die Klimabilanz von Gretas Klassenfahrt hoch und runter. Es geht ja schließlich um die Rettung des Planeten. Da sollte man erst mal genauer nachzählen, ehe man etwas tut. Diese gutmenschliche Greta bedroht schließlich unsere Freiheit, unser Easyjet-Leben und unser Dasein als Flughuren, die nicht mehr wandern. Sie will, dass wir im Sommerurlaub auf der Müritz segeln und in der Dusche mit dem Seifenstück kämpfen. Welch Barbarei. Wie erfreulich ist es da zu sehen, dass bei allem Aufwand, allen Strapazen, die sie auf sich nimmt, Greta kein CO2-chen besser ist als wir. Da kann man sich ja direkt die Mühe und die Müritz sparen und weiterleben wie bisher. Zumal man ja mittlerweile auf den Plastikstrohhalm verzichtet.

Und so segelt Greta vor allem an gegen Widersprüche und Widerstände. Gegen Behäbigkeit und Gehässigkeit. Gegen Hässlichkeit im Charakter. Greta segelt in einem Windkanal, aus dem ihr mit voller Wucht die ökologische Ignoranz einer ganzen industrialisierten Erdbevölkerung ins Gesicht bläst. Während wir uns von dem wärmer werdenden Wind, angereichert mit Feinstaub und Mikroplastik, treiben lassen, versucht sie, stehen zu bleiben. Alleine. Doch alleine wird sie, wie ein einsamer Baum auf einem Feld, umknicken und zerbrechen. Was Greta sucht, braucht, fordert, ist ein Wald. Ein dichter Wald, der sich gegen den Wind stellt. Fest und unumstößlich. Durchlässig und doch stark. Kein Wegducken mehr. Sondern Hingucken.

Doch Gretas aufwendige Reise mit fragwürdiger Bilanz bestätigt uns in unserem Denken: die Probleme sind so überwältigend, die Lösungen so komplex, die Welt so verworren, was kann ich da schon bewegen. Die Hektik spare ich mir besser gleich. Dass jedes Wir aus vielen Ichs besteht, vergessen wir gerne. Und so bleibt der Einzelne in der Deckung und versteckt sich hinter einem „Jemand wird sich schon kümmern.“ und „So schlimm wird es schon nicht werden. Der August war ja bisher nun wirklich nicht warm.“ Wir beruhigen uns im Kleinklein von Maßnahmen, die nicht weh tun: „An Wochentagen, die mit F, wie Fleisch anfangen, esse ich kein Fleisch mehr. Außer Wurst.“ Doch ohne echten Schmerz für ein jedes Ich wird das Wir diese Aufgabe nicht meistern.

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Finde den Fehler.

Und so scheint die einzige Lösung ein erzwungenes Wir zu sein. Wir müssen dazu gezwungen werden, indem es keine Plastiktüten mehr für alle gibt, indem fliegen teurer und Bahnfahren billiger wird. Indem Gesetze und Preisregulation eingeführt werden. Indem unser Leben im Überfluss einen schmerzhaften Preis bekommt. Denn bisher zahlen Polkappen, arme Länder und zukünftige Generationen diesen Preis. Nicht wir.

Doch Regeln alleine lösen die Probleme nicht. Gesetze orientieren sich viel zu oft an der Wählergunst. An Versprechen. An „Mehr Reichtum für alle!“. Es braucht den kollektiven Mut, sich gegen den Wind zu stellen. Zu sagen „Meer! Meer!“ statt „Mehr! Mehr“. Es braucht eine so simple Erkenntnis, die zur Grundlage der Mathematik gehört, die beinahe zu banal für unseren Algorithmen programmierenden Menschenverstand ist: die Erkenntnis, dass unendliches Wachstum in einer endlichen Welt nicht möglich ist. Es braucht diese Greta-Klage des 21. Jahrhunderts. Es braucht das Begreifen, dass die Zeit des ewigen Fortschreitens, des Fortschritts, wie wir ihn kennen, vorbei sein muss. Dass es an der Zeit ist zu bewahren, statt zu bewässern und bebauen. Dass wir konservieren statt konsumieren sollten. Dass unser Glück nicht von einem neuen Turnschuh abhängig ist, sondern von der Luft, die wir in uns tragen. Es wäre schön, wenn wir morgen nicht in New York, sondern in der Realität aufwachen würden. Es wäre schön, wenn wir „friday and any other weekday for future“ ausrufen würden.

Zumal es ja schon irgendwie peinlich wäre, in die Geschichtsbücher einzugehen, als Teil dieses winzig kleinen Jahrhunderts, dass ausgerechnet wegen der leckeren Tapas in Barcelona und dieser schönen, leichten Plastikflaschen das Ende des blauen Planeten mit seinen weißen Stränden, grünen Regenwäldern und schneebedeckten Berggipfeln einläuten würde.

Die Gretchen-Frage, die am Ende noch bleibt: Greta, warum skypst du nicht einfach?

2 Gedanken zu „Die Greta-Frage.

  1. Klasse!👏👏👏Klasse!👏👏👏Mehr fällt mir gerade nicht zu diesem ernsten Thema ein!
    Dem Schellenaffen ist es (wieder einmal) gelungen all meine wirren Gedanken zu diesem Thema in einen einfühlsamen, ehrlichen, aufrüttelnden und ach so wahren Beitrag zu verwandeln. Ich werde jetzt mehr handeln, zumal nach heute, wo der erste Gletscher offiziell von unserer Erde verschwunden ist, die Zeit für jeden von uns drängend wird!

  2. Greta verdient großen Respekt, unabhängig von der Frage nach Sinn oder Unsinn eines Segeltörns. Was können wir alle angesichts der Umwelt- und Klimaprobleme tun? Der Satz von Kant, dass jeder Mensch sich so verhalten sollte, dass der Grundsatz seines Handelns als Grundsatz für das Handeln aller anderen Menschen dienen kann, dieser Satz könnte der Weg sein, wobei es im Detail natürlich schwierig wird – ein kleiner Ansatz könnte darin liegen, sich angesichts der rasant wachsenden Zahl „Goldener Kälber“ zu der Einsicht aufzuraffen, dass wir nicht unbedingt um jedes einzelne davon mittanzen müssen …

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