„Meine Damen und Herren, Sie finden eine Sicherheitskarte mit allen Sicherheitshinweisen in der Sitztasche vor ihnen – sofern nicht ein absonderlicher Kleptomane unter abfallendem Luftdruck in seinem Kopf gelitten und die Karte in einem Akt der angegurteten Rebellion gegen das System entwendet hat.“
Dieser Irre bin ich. Ich klaue Karten mit Sicherheitshinweisen aus Flugzeugen. Jetzt ist es raus. Die Wahrheit. Und die Karte aus der Sitztasche vor mir. Ich entwende überlebenswichtige Informationsbroschüren aus stark überwachten Räumen und bringe Menschen willentlich in Not. Denn wer würde sich im Falle eines Sinkfluges nicht noch mal dringend abgucken wollen, wie man wirklich Ruhe bewahrt und mit einem Turban auf dem Kopf eine Sauerstoffmaske anlegt.
Doch klaue ich nicht aus purem Hass, sondern aus purer Liebe. Liebe zu meinem Bruder, der wiederum aus purer Irrsinnigkeit diese Karten sammelt. Und tauscht. Und einsortiert. Und archiviert. Und seine Ordner voller Safety Cards abends im Bett durchblättert und fasziniert über ihre Details sinniert. „Interessant, dieser leicht gelbstichtige Orange-Ton der Schwimmwesten. Den habe ich so noch nie gesehen.“ So stelle ich es mir zumindest vor. Mein glücklicher Bruder, der jederzeit den Notausgang findet. Und dessen Netz aus Handlagern inzwischen die ganze Welt umspannt.
Nennen wir ihn daher den Paten.
Berichtet man dem Paten von Urlaubsplänen, geht es nie um das eigentliche Ziel der Reise. „Mit was fliegst du?“ „Mit einem Flugzeug voller Safety Cards.“ Bahnreisen sind tabu. Am Tag der Tat wird der Kontrollanruf am Flughafen nur noch mit einem „Ich weiß, was zu tun ist.“ beantwortet. Und dann beginnt die Tat, deren Hergang einfach erscheint und die doch vorbereitet werden will. Neulinge in der Szene greifen noch am Flughafen zu einem bewährten Hilfsmittel und erwerben eine Zeitschrift, um die Beute später sicher in der neuesten Ausgabe der „KlauLust“ zu verstecken. Dank des Paten steigt in Zeiten der eReader und Tablets zumindest an Flughäfen wieder die Nachfrage nach Zeitungen. Denn Regel Nummer eins lautet: eine gefaltete Karte ist eine tote Karte.
Die Handlanger des Paten betreten schließlich den Tatort. Unter dem strengen Blick der Crew möchte der erste direkt vor der Stewardess in die Knie gehen und seine kriminellen Absichten beichten. „Helfen Sie mir auszusteigen!“ „Bitte boarden Sie zügig das Flugzeug, damit wir pünktlich starten können.“
Und so schleichen die Söldner des Paten zu ihrer Sitzreihe – die sich natürlich niemals an einem Notausgang befinden darf. Denn dort sind die Greifweg zu weit, das Versteck für die Beute „befindet sich in den Staufächern über Ihnen“ und man ist im direkten Visier der Fahnder mit den bunten Halstüchern. An seinem gewöhnlichen Sitzplatz angekommen, wird kurz das Opfer fixiert. Ist es da? Wie sieht es aus? „Gute Ware“ stellt man erleichtert fest. Der Pate wird zufrieden sein.
Während der Sicherheitseinweisung blättert man unbedacht in seiner Zeitschrift oder der Police seiner Rechtsschutzversicherung. Beim Hinweis auf die „Karte in der Sitztasche vor Ihnen“ flackert kurz das Augenlid, aber ansonsten bleibt man so kühl temperiert wie die Klimaregulierung des Flugsauriers. Und dann beginnt der Flug. Und mit ihm beginnt Regel Nummer zwei zu greifen: erst wenn wir uns in den Sinkflug begeben, solltest du die Karte entnehmen. Der Moment ist nach dem letzten Kontrollgang gekommen. Geschmeidig wie das Verlassen der Flughöhe, wird mit einer geschulten, fließenden Handbewegung die Karte aus ihrem Fach entnommen, kurz interessiert studiert und in ein bereitliegendes Printprodukt oder Gepäckstück der Wahl verstaut. Kurz wartet man ab, ob der erschütterte Sitznachbar den Rufknopf für das Bordpersonal drückt und laut „Dieb! Dieb! Dieb!“ ruft. Doch nur in seltenen Fällen eskaliert die Situation. In der Regel bleibt es ruhig und niemand wird mit Schwimmweste, Sitzgurt und Sauerstoffmaske dingfest gemacht.
Unmittelbar nach der Landung wird dem Paten berichtet „Melde: der Papeirflieger ist gelandet. Over.“ Ein Beweisfoto liegt bei. Was wiederum mit einer Nachricht beantwortet wird „Der Pate hat dich in seiner Story erwähnt.“ Die beste Tarnung ist schließlich keine Tarnung. Und so beginnt der Handel mit der Hehlerware, die noch nicht einmal kalt ist, bereits im Darknet des Safety Cardells: auf Instagram. Dort werden die Karten, sofern sich das Exemplar noch nicht im Fundus des Paten befindet, zum Tausch angeboten. Auf der ganzen Welt. Gleichzeitig wird so der Druck auf eine zeitnahe Übergabe der Ware erhöht. Und so besteigt irgendwann eine Safety Card erneut ein Flugzeug, aber nicht das für sie vorgesehene Flugzeug – und sie fliegt in einem braunen Briefumschlag erneut um die Welt. Irgendwann landet sie in den Händen eines mexikanischen oder japanischen Safety Cardell-Patens, der vermutlich 15 Jahre alt ist und Karten tauscht, um seine Mathehausaufgaben nicht machen zu müssen.
Doch warum breche ich nicht einfach aus, aus diesem perfiden System? Und schlimmer noch, warum stifte ich andere dazu, an Teil der Machenschaften dieses Familienclans zu werden? Ich bin mittlerweile zu einer Art Zwischenhändler mit Frequent Beschaffeller Status aufgestiegen und habe Freunde und Fremde in den Untergrund gezogen. Sogar Menschen, die weder mich noch den Paten kennen, die ein geregeltes Leben lebten und sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, drücken mir auf einmal ihr Diebesgut in die Hand. Nicht ohne einen gewissen Stolz in der Stimme berichten sie mir von ihren Raubzügen.
Doch was macht den Reiz aus? Warum verfällt man ihm, dem Paten und seinem Geschäft, so leicht? Der Akt etwas zu entwenden, auf dem explizit vermerkt steht, dass es nicht entwendet werden darf, dies ausgerechnet in einem engen, überwachten Ambiente, dass an den Besucherbereich einer Strafvollzugsanstalt erinnert und zu wissen, dass einem außer einer mittelschweren Blamage nicht wirklich etwas passieren kann, zumal die Absichten hinter der Tat völlig banal und sinnlos sind, wie das Herumfingern mit einer Noppenfolie – dies alles wirkt auf die meisten recht-schaffenden Menschen irgendwie drollig erotisierend. Eine winzig kleine, irrationale Tat der Rebellion in einem ansonsten von Reiserücktrittsversicherungen flauschig eingepackten Leben. Man träumt davon, wie irgendwo in einer tiefen Kammer bei Interpol Fluggastdaten und Diebstahlmeldungen in einer Datenbank analysiert, Querverbindungen zwischen all den Kondensstreifen gesucht werden und schließlich der eigene Name auf eine Beobachtungsliste gepackt wird. Und doch klaut man mutig weiter. Für den Paten. Außer bei Ryanair. Da müsste man die Sitze entwenden, und das wäre nun wirklich nicht mehr durch die Rechtsschutzversicherung abgedeckt.
Bleibt die Frage: Was nimmt der Pate ins Visier, wenn er alle Flugmodelle multipliziert mit der Anzahl aller Airlines auf dieser Welt bestohlen hat? Vermutlich fängt er dann an als neuen Ausdruck seines rebellischen Wesens Kotztüten zu klaufen – nur um sie in Fernzügen der Deutschen Bahn zu verteilen.
2 Gedanken zu „Safety cards first.“
Ja,ich oute mich, mutig geworden durch den Schellenaffe, ich gehöre zum Clan!!🤣🤣🤣
Wenn man diesen Beitrag des Schellenaffen nun als Clanmitglied gelesen hat, wird die nächste Beschaffungstat fast unmöglich, denn man/Frau wird von nun an schon beim ersten klärenden Blick in die Tasche vor ihnen……einen Lachanfall bekommen ….und somit vollkommene ungeeignete sein diese Tat, ohne die Aufmerksamkeit des Wachpersonals zu erregen, zu vollbringen 😉! Aus die Maus! Und der Schellenaffe ist Schuld! Der Pate wird es nicht hinnehmen! Oje!
Ach egal, ich denke einfach nicht dran und lach mich jetzt schlapp!😊🤣
notfalls gibt es die Dinger auch bei ebay:
https://www.ebay.de/b/Safety-Cards-aus-der-Luftfahrt-fur-Sammler/59218/bn_16579756