Nüchtern betrachtet.

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„Bist du schwanger?“ Kaum eine Frage kann so schnell als Beleidigung empfunden werden wie diese. Sie impliziert: du bist fett geworden und ich wünsche dir, dass deine Leibesfülle der Liebe zu einem Mann und nicht der Liebe zu Dickmännern geschuldet ist. Da die Frage also ein hohes Risikopotential aufweist, wird sie in der Regel nur bei entbindungsnahem Objektstatus gestellt.

Und doch gibt es eine Ausnahme von dieser Regel. Egal ob Greisin, männlich oder abgemagert, allen wird unverblümt unterstellt, trächtig zu sein: wenn sie ein alkoholfreies Getränk bestellen. Anders ist dieses abstruse Verhalten schließlich nicht zu erklären. Und zu akzeptieren.

Wir trinken. Alle. Beharrlich. Das Feierabendbier. Das Sektfrühstück. Die Weinbegleitung. Alkohol ist Geselligkeit und Genuss. In ihm löst sich deutsche Nüchternheit auf. Er sichert ein bisschen rauschhafte Lebensqualität und nüchterne Arbeitsplätze. Über Rhabarberschorle lässt sich dergleichen kaum sagen.

So wird der Schorlensäufer als frigides Date, bemitleidenswerte Spaßbremse oder medikamentenabhängiger Irrer abgestempelt. Irgendwie anstößig ohne anzustoßen. Urteil: Verkorkst statt verkorkt. Der hat nicht mehr alle Tassen im Schrank – weil er sie dafür nutzt, Kräutertee zu trinken. Kaum zu gebrauchen. Bei Gurkenwasser entstehen schließlich keine Schnapsideen. Welche Party verursachte jemals Lärmbelästigung wegen Eskapaden mit stillem Wasser? Wer nicht mittrinkt, entzieht sich bewusst der Hemmungslosigkeit und Heiterkeit. Und er macht anderen ein schlechtes Gewissen, wenn er als nüchterner Kontrastgeber die Albernheit der anderen vor Augen führt. Wenn er achtsamer fahren und nicht achterbahnfahren möchte. So ein stocknüchterner Vollpfosten, sein alkoholfreies Alibier rettet ihn auch nicht.

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Und so stellt sich das Experiment des Nichttrinkens als ein schwieriger (Selbst-) Versuchsaufbau in unserer Gesellschaft dar. Man muss oder möchte sich oft erklären. Dem Satz „ich trinke heute nichts“ folgt in der Regel ein Komma, kein Punkt. Unser Alltag hält eine Million Promille-Pausen parat. Das Bier zum Anpfiff. Der Sekt zum Anstoßen. Der Drink zum Abtanzen. Die Lust auszugehen schwindet. Warum sollte man auch „etwas trinken gehen“, wenn man keinen Durst hat? In unserer Gesellschaft muss man aktiv Nein zum Alkohol sagen, nicht aktiv Ja. Und so trinkt der Deutsche im Laufe eines Jahres eine Badewanne voll alkoholischer Getränke. Das sind mindestens neun Flaschen puren Alkohols, Ethanol aus dem Chemieunterricht als Lösungsmittel und Kraftstoff bekannt. Prost.

Dabei ist Alkohol doch eigentlich ein Genussmittel. Was hält uns davon ab, ihn als solches zu behandeln und dosierter, bewusster zu konsumieren? Oder zumindest zu akzeptieren, wenn andere dies für sich beschlossen haben?

Alkohol ersetzt Wartungsarbeiten am eigenen Charakter. Er betäubt die Sinne (die sich gerne mit einem Paukenschlag am nächsten Morgen zurückmelden, als habe sich etwas angestaut). Er löst die Zunge („Nüchtern zu schüchtern. Besoffen zu offen.“) und lockert Gefühle. Anstatt uns bewusst mit unseren Emotionen und Bedürfnissen zu beschäftigen und den Mut zu fassen, sie zu artikulieren, überlassen wir dem Alkohol gerne das Handeln. Notfalls dient er als wunderbare Ausrede für misslungenen Tatendrang und Tanzeinlagen. Attestierte Unzurechnungsfähigkeit. Alkohol scheint ein einfaches Lösungsmittel. Nüchterne Wahrheiten sind eben schwieriger herunterzuschlucken als ein Glas Oldesloer Korn.

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Es geht nicht darum, asketisch zu leben und sich zu kasteien. Es geht darum, das nächste Glas Wein bewusst zu genießen, anstatt sich beiläufig zulaufen zu lassen. Darum, Alkohol als Genussmittel zu schätzen, zu schmecken und genießen. Darum, ungewollte Bierschwangerschaften zu vermeiden. Und darum zu akzeptieren, dass jemandem, der nichts trinkt, nichts über die Leber oder die Gebärmutter gelaufen sein muss.

Ein Gedanke zu „Nüchtern betrachtet.

  1. Jaja,der lieb gewordene „gute Tropfen“ oder das „letzte Bier“ das schlecht gewesen sein muss, oder warum geht’s uns am Morgen danach oft so übel?
    Dieses Thema beschäftigt jeden Mitmenschen einmal ( manchen auch öfter). Doch irgendwann sollte es kein Thema mehr sein. Nämlich dann, wenn wir genug (gute oder schlechte) Erfahrungen mit diesem „Teufelszeug“,dem geistigen Getränk, gemacht haben. Wenn die Jahre des Jugendlichen Ausprobierens, das mittrinken bei diversen wichtigen oder unvergesslichen( wenn sie nicht im zuviel Wein ertränkt wurden) Anlässen, dem Stress/Frust Trinken und dem Abendlichen Feierabend Bier/Wein/Schnaps vorbei sind!! Nein, nicht weil wir dann tod sind, sondern weil wir wissen was der Alkohol mit uns macht! Weil wir erkannt haben, das der Genuss von Wein etwas Schönes ist, das Glas Bier zum Grillen im Sommer mit Familie oder Freunden ein herrliches Erlebniss ist, weil ein „Verteilerli“ manchmal ein schweres Essen verdaulicher macht! Aber eben nicht ständig, im Übermaß und jeden Tag! Auch hier gilt, auf das richtige Maß (nicht das vom Oktoberfest ) kommt’s an! In Maßen genossen ist alles erlaubt! Dann mal Prost! Mit einer gepflegten Apfelschorle geht’s auch…..ab und zu, oder immer öfter!😋

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