Die Angst grassiert. Überall schleicht sie sich in Wohnungen. Sie kriecht durch Ritzen und Spalten. Durch Nähte und Stoffe. Sie sitzt mit am Abendbrottisch, liegt auf der Couch und duscht mit. Unbemerkt und ignoriert möge sie bitte verschwinden. Doch schleichend wird die Angst sichtbar und real. In der Reflexion der Plexiglasscheibe an der Supermarktkasse. Im unter dem Mundschutz starren Blick der Frau beim Bäcker. Im Badezimmerspiegel. Gewiss. Jetzt hat es einen auch erwischt. Die ersten Symptome sind da. Der Körper fühlt sich anders an. Fertig sieht man aus. Fertig für die Notschlachtung. Man hat es auch.
Dieses Fett.
Schwabbelig wattierend verschleiert es den vormals athletisch austrainierten Körper. Wo man früher an der Schwelle zur Übertrainierung stand und seinen PKW am liebsten zur Arbeit trug, gerät nun der Stretchanteil der Hose an die Grenzen des Tragbaren. Wo sich ganze Staaten Sorgen um finanzielle Polster machen, sorgt man sich um die eigenen Polster. Darum, dass sie das Format der eigenen Polstermöbel annehmen. Darum, dass der Moment eintreten könnte, an dem man nicht mehr in der Sofaritze nach der Fernbedienung sucht, sondern, nunja, an anderen dunklen Orten. Und einem definierten Doppelkinn zum Beispiel.
Der Blick auf den eigenen Körper oder auf das, was von ihm übrig ist, macht einem klar: man hat in letzter Zeit seine Kaumuskeln und seine Geduld trainiert. Nicht mehr, nicht weniger. Man beginnt an der naiven Hoffnung zu zweifeln, dass der neue Alltag aus Immobilität, Snacks und noch mehr Snacks als „Die ISS-Diät“ seinen Weg in die nächste Ausgabe der Brigitte finden wird.
Und so sieht man dem Bauchspeck in die Augen: „Seit vier Wochen lebe ich im Shutdown. Ich war seit fünf Monaten nicht beim Sport.“ Man sollte etwas tun. Das „Etwas“ besteht zunächst daraus, das man im Keller seine alte Isomatte, die bei der letzten Klassenfahrt 1996 zum Einsatz kam, sucht. Treppensteigen ist motorisch immerhin noch möglich, stellt man erleichtert fest. Man erinnert sich jedoch daran, dass die Matte dem Lagerfeuer damals etwas zu nah kam und bestellt daher zunächst ein neues sportliches Modell im Internet. „Aufgrund der erhöhten Nachfrage kann es zu Lieferverzögerungen kommen“ und man atmet unverzüglich erleichtert durch. Viel geschafft heute.
Doch dann ist das Morgen da, vor dem einem graute. Die Matte ist da. Der Bauchspeck auch. Das Internet ist stabil. Anders als die allgemeine Muskelspannung. Neben allgemeiner körperlicher Fitness fehlt nun also die Ausrede, nicht an der allgemeinen körperlichen Fettness zu arbeiten. Man beginnt ausgiebig zu googeln. Und beschließt, das Bootcamp für morgen aufzuheben und mit etwas Yoga zu beginnen. Ein Überwesen, das weder schwitzt, noch atmet oder die Stirn runzelt, leitet aus der Ferne die fremden Massen in ihren Wohnzimmern an. Es sitzt am Pool dessen, was wie eine mallorquinische Villa aussieht, und trinkt im Kopfstand Tee, während man sich im Schatten des Fettgewächses versucht, sich an Links, Rechts und den Begriff der Würde zu erinnern. Dabei wird man vom Staub unter dem Sofa abgelenkt. Die eigene Muskulatur ist so verkürzt wie das Video, das man beginnt vorzuspulen. Bis hin zur Endentspannung, die „der wichtige Abschluss einer jeden Yoga-Praxis sein sollte“. Die Mediation wird unterbrochen vom leisen Schnarchen des Pandemie-Partners, der auf Couch „tief in sich ruht“.
Anstatt am nächsten Morgen geschmeidig wie eine Katze dem Bett zu entgleiten, zieht man das rechte Bein nach. Oder ist es das linke? Man gönnt dem Körper heute Ruhe. Regeneration ist wichtig. Da man beim Kauf der überteuerten Matte wenigstens die Versandkosten sparen wollte, kaufte man direkt das empfohlene Produkt dazu: eine Blackroll für die Faszien. Man weiß nicht, was Faszien sind, aber im Frühling ist Blumenpflege ja immer eine gute Idee. Man entpackt den Kauf und beginnt mit dem „Training“ für blühende Faszien. Was aussieht wie eine kleine Planierwalze, fühlt sich auch exakt so an. Nur mit dem Unterschied, dass man über sie, und nicht sie über einen rollt. Aber dieses Detail vergisst man ohnehin recht schnell, ebenso wie das Gefühl für oben und unten und den Wunsch weiterzuleben. Während man sein Gesäß über die riesige Lakritzrolle wälzt, beobachtet man „faszieniert“, wie der Pandemie-Partner Lakritze planiert, also dem Erdboden gleich macht.
Am nächsten Morgen ist der Körper in Balance. Er humpelt beidseitig. So geschwächt kann man nicht mehr weglaufen vor den Nachrichten, Aufrufen und Einladungen, die einen dazu auffordern, an einem der zahllosen Live-Trainings arbeitsloser Fitnessanstalten teilzunehmen. Live-Streamen solle der Schweiß. Da es kaum etwas Schöneres gibt als anderen bei der Arbeit zuzuschauen, schaltet man sich der Videokonferenz zu. Und blickt in fremde Wohnzimmer fremder Menschen. Man überlegt, ob man „Biene87“ nach dem Namen ihres Ecksofas fragen soll, da unterbricht der Heimtrainer gut gelaunt „Lasst sie brennen, die Polster! Woho!“. Da man nicht weiß, ob man die eigene Kamera wirklich ausgeschaltet hat, beginnt man den Anweisungen des Trainers Folge zu leisten. Man robbt, rollt, hüpft, hangelt und transpiriert durch diverse Staubschichten der eigenen Lebenswirklichkeit. Da die Internetverbindung wackelt wie der Kronleuchter in der Wohnung unter der eigenen, wird die Halteposition zum Exorzismus. Der Pandemie-Partner liegt derweil auf der Couch und isst Speisereste von seinem Oberkörper, während man in der Liegestützposition schnauft. Er ist quasi Liegestütze. Um die Deckenverputzung des Nachbarn nicht zu überstrapazieren, macht man sich schließlich auf dem Balkon zum Hampelmann. Bis die Kinder aus der Nachbarschaft auf der Wiese fragen, was die Frau da oben macht. Für die Öffnung von Schulen und Kitas beten, wonach sieht das sonst aus?
Am nächsten Morgen tritt man in Scherben, die einmal die eigenen Knochen waren und stolpert über seine eigenen Beine. Gott sei Dank landet man weich – auf seiner Fatroll. Dabei stellt man fest, dass man unter dem Bett auch mal wieder Staub wischen könnte. Und hofft, das Spazierengehen doch olympisch werden möge. Oder Staubwischen. Oder Liegenbleiben.
2 Gedanken zu „Fett isoliert.“
Misst! Nun wollte ich mal ganz entspannt und früh den Schellenaffen genießen und was passiert…..ich fühle mich ertappt und der Schellenaffe hat mir den ,bisher ignorierten, Wandspiegel,vor die Nase gehalten! Oder besser gesagt vor „Bauch-Po-Oberschenkel „! 😏Ach, was hasse ich die Pandemie! Sicher auch die Angst vor allem was gerade in und mit unserer Gesellschaft passiert! Aber vorallem das, was sie mir und meinem mehr oder weniger trainierten Körper antut! So als mit60ziger gehört man ja zu der Generation, die stolz darauf war/ist, wie fit, dynamisch ,gut aussehend und gesund wir durch die Jahrzehnte gekommen sind! Wir ernähren uns metabolisch, gehen ins Fitnessstudio,Walken ist unser Spazieren, hüten Enkel und Eltern, arbeiten teilweise noch und sehen immer blendend aus! Aber jetzt….gehören wir zur Risiko Gruppe!!! Man stelle sich sowas mal vor! Nichts geht mehr! Enkel, Eltern dürfen uns nicht mehr besuchen bzw. wir sie nicht mehr betreuen. Arbeiten dürfen wir auch nicht mehr, zumindest bei einigen Berufen (Erzieher und Lehrer) ! Sport ohne Anleitung ist ehr kontraproduktiv! Spüre ich gerade selber! Aus metabolischen Ernährung ist Frust/Lustessen geworden!Und unser Äußeres ähnelt eher einer Langhaarrobbe vor dem Winter….lange graue Haare und kugelrund!🙄! Aber et hät noch immer jut jejangen! Sagt der Rheinländer! Darum werde ich ab diesem Montag, ganz nach dem Motto „Make Monday great „,mein Corona Pandemie Leben neu gestalten! 1.Wieder diätischer essen! 2 .Mehr bewegen! 3.Öfter in den Spiegel schauen damit ich die Erfolge sehe!😉Und hoffen das ich bald wieder Enkel betreuen kann mit weniger Bauchfett und dafür mit viiieeel Elan!!!👍