Hasst du sie noch alle?

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Kinder dürfen vieles, was Erwachsene noch immer gerne dürfen würden. Mittagsschlaf halten. Den Nachmittag mit Freunden abhängen. Sich an einem Bonbon erfreuen. Kinder lassen ihren Emotionen und Bedürfnissen freien Lauf. Und so dürfen Kinder auch eines, was man als Erwachsener zu kontrollieren gelernt hat: sie dürfen hassen. Sie dürfen Spinat so sehr hassen, dass sie ihn an die Wand werfen. Sie dürfen das Zähneputzen so sehr hassen, dass sie sich auf den Boden werfen. Sie dürfen den Jungen mit der laufenden Nase so doof finden, dass sie ihn mit Sand bewerfen. Denn sie wissen es ja noch nicht besser. Als Erwachsener kratzt man dann das Grünzeug aus der Bücherwand und die Reste seines vormals herzallerliebsten Balges von den Bodenfliesen und erklärt ihm die Welt. Man erklärt ihm diese Welt, in der man Dinge zu akzeptieren lernen muss, die einem vielleicht nicht immer schmecken. Diese Welt, in der es Platz für Wut, aber keinen Raum für unkontrollierten Hass gibt. Diese Welt, in der man sich sicher bewegen und sprechen darf, weil man weiß, dass einen niemand aus Hass mit Sand oder Schlimmerem bewerfen wird.

So dachte man. Doch dann gehen einem schleichend irgendwie die Argumente aus. Der Hass scheint salonfähig geworden zu sein. Dieser Eindruck entsteht, wenn man den amerikanischen Wahlkampf verfolgt, der in seiner Hässlichkeit und Unversöhnlichkeit kaum zu überbieten möglich scheint. Der Gedanke kommt auf, wenn man hört, dass Menschen auf offener Straße willkürlich enthauptet werden. Das Gefühl schleicht sich ein, wenn man die Kommentarspalten einer beliebigen Internetseite betrachtet. Anonym, bedrohlich, laut spürt man ihn immer mehr, diesen Hass, der keine Versöhnung zu kennen scheint. Man hört, liest und spürt diese abgrundtiefe Abscheu, die nichts mehr mit aufgewühlter Wut, mit der man noch sprechen, diskutieren oder getrennte Wege gehen kann, zu tun hat. Hass ist unkontrollierte Angst. Wer hasst, lebt in einer Einbahnstraße. Einer Straße, in der jeder Gegenverkehr verboten und bedrohlich ist. Man wähnt sich als einziger auf dem richtigen Weg.

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Jeder von uns kennt diese Straße und war schon verleitet, auf ihr zu fahren. Man hasst diesen einen Kollegen, der sich immer mit fremden Lorbeeren schmückt und damit auch noch durchkommt. Man hasst den Geruch von Kohl. Man hasst Schalke. Man hasst Menschen im Allgemeinen (Ich hasse Menschen). Aber wenn man so „hasst“, hasst man nicht wirklich. Man wird nicht hässlich. Man ist wütend, enttäuscht, frustriert, aber weiß dabei, dass man grade wütend, enttäuscht oder frustriert ist. Man spürt die eigene Wut und nimmt sie wahr. Man gratuliert dem Kollegen vielleicht nicht zum Geburtstag. Aber man wünscht seinem Kollegen nicht den Tod oder zündet die Wohnung jenes Kohlliebhabers an. Bei der Gasentwicklung hätte man eh Angst vor der Denotation. Die meisten Menschen kontrollieren sich in ihrer Wut.

Doch wer sind diese Menschen, die mit voller Wut auf die Einbahnstraße biegen und gerne noch mal beschleunigen? Wie viele sind es? Sitzen sie in der U-Bahn, im Büro, im Café neben einem, während sie Angela Merkel an den Galgen wünschen? Sicherlich gilt: der Hass ist eine laut brüllende Minderheit. Die Mehrheit der Menschen ist mal genervt, ziemlich sauer oder oft enttäuscht, aber sie hasst nicht. Doch diese Mehrheit ist zumeist auch eines: leise. Und so entsteht der Eindruck einer Gesellschaft gespickt mit anonymem Hass. Ist der Hass an sich gewachsen, oder nur der Raum gewachsen, ihn zu artikulieren und entfalten? Es wurde gewiss einfacher, hässlich zu sein. Musste man früher zumindest Porto für einen Drohbrief aufbringen oder sich genau überlegen, ob man vor Haustüren rumlungert, um jemand beim Gang zu Briefkasten als „dreckige Fotze“ zu beschimpfen, ist Hass nun kostenlos. Und nicht „umsonst“. Schnell stehen andere bereit, um zu applaudieren, wie toll die eigenen Beleidigungen artikuliert wurden. Die Anonymität ist die Macht der Feiglinge. Und diese Macht wächst. Denn die stille Mehrheit gewöhnt sich an den neuen Tonfall. Sie stellt Menschen ein, die den Hass aus den Kommentarspalten löschen. Sie gewöhnt sich an „Stück Scheiße“ als eine Form der Meinungsäußerung (Fall Renate Künast). Sie zuckt mit den Schultern. Oder duckt sich in der Hoffnung, dass ein kleiner harmloser Blog niemals irgendjemandem hasserfüllt aufstoßen wird. Bitte nicht ich.

Aber mal ehrlich: wer will sich daran gewöhnen? Hass in der Gesellschaft ist keine gute Gesellschaft. Oder fällt irgendjemand ein Beispiel ein, wo Hass mal für ein kollektiven Glücksgefühl und richtig tolle Ergebnis für die Menschheit gesorgt hat? Wir leben in einer Demokratie, die immer unperfekt, nie fertig, aber vor allem eines ist: wehrhaft. Einer Demokratie, in der man diskutiert, streiten darf und mit Kritik umgehen muss. Wer das nicht gelernt hat, darf gerne versuchen, dies zu lernen. Wer es nicht lernen möchte, der darf gerne denken, was er möchte, aber ihm darf kein Raum gegeben werden, um zu sprechen. Hass darf keine Likes mehr bekommen können. Nichts ist schlimmer für jemanden der hasst, als wenn sein Hass niemand hört – oder wenn er am Ende denen hilft, die er vernichten möchte (www.hasshilft.de). Wer hasst, muss die Erfahrung machen, dass die Einbahnstraße eine Sackgasse ist – an deren Ende man alleine mit einer Wand redet.

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2 Gedanken zu „Hasst du sie noch alle?

  1. Hass, in jeder Ausdrucksform, ist das Schlimmste, was in uns Menschen steckt! Im Moment glaubt man, in einer Welt zu leben, die von Hass geprägt ist! Das stimmt nicht! Denn Hass gibt es seit „Menschen Gedenken“ ! Es gab schon immer Menschen die Hass verbreitet , gesät haben! In der Literatur und den Geschichtsbüchern gibt es genügend Beispiele dafür! Aber, der Hass in unserer Zeit ist gesellschaftsfähig geworden! Galt früher der gute Ton als non plus ultra, ist es heute das von Hass geprägte Wort! In allen Bereichen unserer Gesellschaft! Das färbt ab. Und wer mit Worten Hass sät, der erntet Gewalt in Taten! Das sehen/hören wir jeden Tag! Darum ist die „Waffe“ gegen Gewalt und Hass, der gute Ton! Oder dem „hässlichen“ Ton den Saft nehmen! Abschalten, aus manchen, weg streichen, oder wie ein großer Getränke Hersteller es macht, aus Hass wird Hilfe für die Ärmsten! Damit nimmt man dem Hass die Kraft! Drehen wir ihm also einfach den Saft ab!😉 Denn alle die Hass propagieren wollen ernten…..aber wenn nix zu ernten ist verhungern sie. Darauf hoffe ich!😊

  2. Der Zufall will es, dass ich gerade kurz nach Lektüre des Schellenaffen auf folgende Werbetirade eines Modeladens stoße: „Unser Daily Must-Have – Look des Tages! – Fashionistas aufgepasst! Dieser Look beinhaltet alle Material-Must-Haves ​der Saison. Leder, Kaschmir und Fake-fur in Kombi beweisen absolutes Fashion-Know-how!“ Das ist wohl zu blöd, um ernsthafte Reaktionen auszulösen, natürlich auch keinen Hass, aber amüsant ist es natürlich nur bedingt, denn es zielt auf eine Art von kommerzieller Verblödung, über die man sich auch aufregen könnte – lachen ist sicher besser …
    Hass im eigentlichen Sinne geht mir an allen möglichen Körperteilen vorbei, ich wüsste im Moment keinen, von dem ich sagen könnte, dass ich ihn hasse. Ich vermute, dass auch die Verfasser der sogenannten Hasskommentare im Netz vielfach nicht wirklich hassen, sondern in der Tat nur Feiglinge sind, die auf billige und pöbelnde Weise ihre Dummheit ausrülpsen.
    Echter Hass kommt vielleicht aus einer tiefen Verletzung, die nach Rache schreit, oder er entsteht im Rahmen von Hetze und Fanatismus – diese Form ist die gefährlichste und, wie trippelB zu Recht bemerkt, es gab sie schon immer, sie wurde und wird geschürt, damit harmlose Menschen in den Krieg ziehen und sich gegenseitig umbringen.

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