Letzte Preis.

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Puh, November. Ist ja eher so unteres Mittelfeld in Sachen monatlicher Gefühlsaufwallung. Menschen, die den November als ihren Lieblingsmonat bezeichnen, mögen auch den Geruch von nassem Hund und die Farbe Ocker. Normale Menschen meiden hingegen den November, indem sie verreisen oder Weihnachtsmärkte eröffnen. Diesmal sind die Bedingungen jedoch besonders Novembernebel-trüb. Irgendwo zwischen der Decke, die einem auf den Kopf fällt, und dem Boden, auf dem man im Matsch ausrutscht, kriegt man allmählich ein klein wenig schlechte Laune. Um diese zu überwinden, frönt man dem altbewährten Motto „aufkaufen statt ausrasten“ und lässt sich zum Konsum verführen von laut schreienden Black-Friday-Angeboten, die so hochpreisig sind, dass sie in einen persönlichen schwarzen Freitag zu münden drohen: dem Crash in der eigenen Geldbörse. Und da hat der Cyber Monday, an dem man endgültig zum Cyborg mutieren wird, noch gar nicht begonnen.

Umsatz wird angesichts der eigenen Privatinsolvenz ebenso wie Stauraum für die zahllosen Pakete, die demnächst bei den Nachbarn abgeholt werden sollten, herbeigesehnt. Was also tun? Die Lösung ist denkbar einfach: ausmisten statt ausrasten. Alles Unliebsame, was keinen Herzschlag kennt, soll zu Geld gemacht werden. Hierfür hat dieses Neuland Internet einen wunderbaren virtuellen Ort geschaffen, an dem man sich jedes Mal, wenn man ihn betritt, daran erfreut, dass das wirkliche Leben anders ist als das Leben an jenem Ort. Man freut sich darüber, dass man normalerweise in ganzen Sätzen miteinander kommuniziert, Fremde nicht einfach die eigene Wohnung betreten und man seinen eigenen Rassismus im Griff hat. Dieser Ort, an dem alles anders ist, heißt eBay Kleinanzeigen. Was klingt wie ein Bürgerportal zur Strafverfolgung von Kavaliersdelikten, ist in Wahrheit ein orwellsches Labor zur Studie menschlichen Verhaltens. Als kostenlose Beratung aller Novemberneulinge sei an dieser Stelle daher die Verfahrenweise einmal erläutert.

Zunächst beginnt es mit der Identifikation möglicher Verkaufsobjekte. In diesem Jahr ist dies besonders einfach, da das sogenannte Wichteln ausfällt, bei dem man sich normalerweise solcher Dinge entledigt. eBay Kleinanzeigen bietet die Möglichkeit alle diese zu verkaufen. Wirklich alles. Gegenstände, Dienstleistungen, Lebewesen. Vermutlich sogar gegenständliche Dienstleistungen mit Lebewesen. Oder gebrauchte Lippenstifte.

Als nächstes recherchiert der Nippes-Owner den marktüblichen Preis des Verkaufsobjektes und bewertet den Zustand des eigenen Gedöns. Profis dimmen hierfür das Licht. Dies ist ebenfalls hilfreich, um anschließend von einem automatischen Blitz überbelichtete Fotos zu machen. Diese stellt man dann mit einem knackigen Werbeslogan wie „Nippes mit Niveau sucht begüterten PayPal-Kunden“ online und wartet auf erste Interessenten. Ob man dabei den Preis als verhandelbar oder feststehend angibt, spielt keine Rolle. Verhandelt wird so oder so. Jene Verhandlung wird meist mit dem eloquenten Klassiker „Letzte Preis?1!“ eröffnet. Doch nun unterdrückt man den Impuls, denjenigen wegen Sittenwidrigkeit zumindest klein anzuzeigen und antwortet stattdessen mit einem freundlichen „Guten Abend Herr [Name, von dem man nicht weiß, ob es ein Vor- oder Nachname ist], vielen Dank für Ihre Nachricht und das darin bekundete Interesse an unserem hochwertigen Produktangebot. Leider ist es uns aufgrund des Fehlens einer sachlichen Anrede und diverser Satzbausteine nicht möglich, Ihre Anfrage zu bearbeiten. Zur Erzielung eines zeitnahen Vertragsabschlusses und Beseitigung etwaiger Missverständnisse bitten wir daher um erneute Übersendung eines vollständigen Satzes. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Wortschatz.“

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In der Regel reagieren Interessenten hierauf wie auf den adventlichen Besuch der Steuerfahndung: sie tauchen unter. Dieses Phänomen der plötzlich einsetzenden gespenstischen Stille ist bekannt aus dem Bereich des Online-Datings und nennt sich „Ghosting“. Reagiert man zunächst noch irritiert und empört auf solch respektlose Formen des menschlichen Umgangs, entdeckt man bald die Nützlichkeit dieser Verfahrensweise und antwortet spätestens nach der dritten wortgewaltigen Preisanfrage nicht mehr auf Nachrichten. Auch nicht mehr auf die der eigenen Familie. Wie soll man auch antworten auf Fragen, die keine Fragen stellen? Man wird so oder so allmählich erschlagen von Wortfetzen und Buchstabenkombinationen. Spätestens wenn man etwas als „zu verschenken“ eingestellt hat, wird man restlos überflutet von der Fanpost „internationaler Käufergruppen“. Ein Wort der Warnung sei daher ausgesprochen: den Begriff „gratis“ sollte man sich auf eBay Kleinanzeigen sparen. Denn kaum ist er ausgesprochen oder –schrieben, wähnt man sich und seinen Nippes in der zwielichtigen Welt des Import-Export – und sich selber auf dem Jahrestreffen anonymer Rassisten. Doch eBay Kleinanzeigen wäre nicht so erfolgreich, wenn es für aufkeimendes Nationalbewusstsein keine automatisches Gegenmittel präsentieren würden: den Portokosten-Pedanten, der einfach nur Deutscher sein kann und Dieter heißt. Man hasst ihn augenblicklich. Wie bei einem Neugeborenen debattiert man mit Dieter Größe und Gewicht des nach Bottrop zu versendenden Babys und verbringt geraume Zeit auf der Internetseite der Deutschen Post. Sind die Verhandlungen irgendwann doch abgeschlossen, beginnt das Duell um Geld und Versand. Wer zuckt zuerst? Da dieses Duell nur etwas für die mutigsten Cowboys ist, suchen sich die meisten Nippes-Owner daher lieber einen vertrauten Kriegsschauplatz aus: das eigene Zuhause.

Und dann ist er da, dieser Moment, dem man so lange entgegengefiebert hat: der Moment, in dem man „Ja“ sagt. Und seine Adresse preisgibt. Von da an schläft man unruhig. Was ist, wenn jemand kommt, um den DVD-Player einfach zu stehlen? Um sich abzulenken, geht man alle Wechselgeldkonflikte im Geiste durch. In den nächsten Tagen hortet man entsprechende Schein-Münz-Kombinationen, um auf 4€ rausgeben zu können. Egal wie. Schließlich klingelt es. An der Tür. Und in der Kasse voller Kleingeld. Es folgt der Verkaufsakt auf der Türschwelle. Kurz und komisch. Wie jedes erste Mal. Erleichtert ist man, wenn man dem namenlosen Fremden schließlich hinterher blickt, der einem die Wohnung leerräumte – ein kleines bisschen leerer zumindest. Man fühlt sich befreit und bereichert. Ein erhabenes Gefühl, das abrupt unterbrochen wird von einem erneuten Läuten der Türklingel. Man befürchtet, der Nippes habe sich direkt im Treppenhaus pulverisiert und schaut zögerlich durch den Türspion – durch den man nur die hinter einem Berg an Paketen versteckte Schirmmütze eines DHL-Boten erkennt. Die Pakete – das erkennt man mit zugekniffenen Augen – tragen alle den eignen Namen als Anschrift. Puh, da ist er wohl: der letzte Scheiß.

(Link zum attraktiven Angebot: https://www.ebay-kleinanzeigen.de/s-anzeige/klopapier-interessante-fehlproduktion-2-in-1-sammler/ )

3 Gedanken zu „Letzte Preis.

  1. Für obig ausführlich beschriebenen Vorgang gibt es ganz einfache Begriffe! 1.Wirtschaft ankurbeln ,das was weg geht, muss neu angeschafft werden. 2.Ein Geben und Nehmen, wir geben Ebay und nehmen von DHL.
    3.Win win Situation ,der eine ist’s los, der andere Freut sich über das Schnäppchen!
    Kennen wir doch alle. Solang wir diesen Weg einschlagen ist nicht’s verwerfliches daran…erst wenn wir das Objekt verwerfen, sprich in den Müll schmeißen, wird’s schlimm! Denn davon haben wir bekanntlich mehr als genug. Darum ein Hoch auf den Ebay Marktplatz, der lässt Dinge, die wir ausmustern wollen, bei anderen im neuen Glanz erstrahlen…und das für wenig Geld!😉

  2. ebay hin, Kleinanzeigen her, aber den November muss ich ein bischen verteidigen – er ist neben dem April der am meisten und zu Unrecht geschmähte Monat: Kein Monat bietet (zumindest bei uns hier) prächtigere Farbenspiele in der Natur als der November, für mich ist er mehr bunt als grau, und dieses Jahr schien im November an 18 Tagen (ausweislich meiner Handy-Fotos), zumindest zeitweise, die Sonne …

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