Kriegen sie sich? Wer ist der Mörder? Ist die Milch noch haltbar? Lohnt sich die Steuerklärung? Ist der Pickel morgen weg? Wie gerne würde man manchmal vorspulen. Nur um etwas gönnerhafter die Gegenwart zu erleben und abends friedlicher einzuschlafen. Doch diese Lust scheint zu schwinden. Niemand wagt es derzeit weit nach vorne zu schauen. Wer weiß, was dort blüht. Irgendwie ahnt man, dass die Haltbarkeit von Milch in dieser fernen Zukunft das geringste Problem sein wird. Irgendwo zwischen der Frage, wann man wohl geimpft und wann der eigene Wohnort unfreiwillig am Meer liegen wird, kann es eigentlich nur klumpig werden.
Doch bei allem säuerlichen Pessimismus wünscht man sich manchmal doch eine kurze, heimliche Grußbotschaft seines Zukunfts-Ichs. Denn spätestens, wenn man alte Fotos und vergangene Entscheidungen betrachtet, wünscht man sich manchmal, man habe damals gewusst, was man heute weiß. Nein, Schlaghosen stehen dir nicht. Ja, trau dich ruhig. Nun ja, überlegt dir das mit der Ausbildung zur Sprengstoffexpertin noch mal.
Wenn ich 95 Jahre alt werde, zahlen sich meine Einzahlungen in die private Altersvorsorgekasse aus. Ab dann gehe bzw. rolle ich als zahn- und gehörlose Gewinnerin vom Platz. Als Besiegerin des kapitalistischen Systems. Doch lohnt sich der lange Weg? Wie ist das Leben im Jahr – Moment – 2081? Was würde mein 95-jähriges Ich zu meinem heutigen Leben zwischen Birnen auf der Pizza und Gurkensalat im Kopf sagen?
„Liebes jüngeres Ich,
da ich dir mein faltiges Hologramm nicht mehr antun möchte, diktiere ich etwas antiquiert dem Microchip in meinem linken Daumen diese Zeilen. Also Daumen hoch, hier spricht deine Zukunft. Du fragst dich gewiss, was diese Zukunft, was diese deinige Zukunft so bringt. Reichtum, Krankheit, Glück, Stolpern? Zunächst wirst du in der Tat immer reicher. Der Reichtum an Krankheiten nimmt zu. Wobei Krankheit übertrieben ist. Es sind diese Zipperlein, mit denen du morgens in letzter Zeit aufwachst und dich fragst, ob das jetzt immer so ist. Nein, es bleibt nicht so. Es werden mehr. Mit jedem Morgen kommt zu einem alten ein neues hinzu. Und was exponentielles Wachstum bedeutet, hast du, glaub ich in letzter Zeit zu verstehen gelernt. Ab einem gewissen Alter – ich glaub es war irgendwann zwischen 39 und 51 – fühlt sich dein eigener Körper wie ein Altglascontainer an: schwer, sperrig und voller Scherben. Ein bisschen miefig, manchmal recht laut, beginnen die Menschen dich zu beäugen und fragen sich, wann du abgeholt wirst. Deswegen mein erster Rat: springe, hüpfe, tanze, renne das nächste Mal, wenn du deinen Walk of Shame antrittst und mit deinen klimpernden Tüten zum Glascontainer huschst. Eskaliere solange du noch kannst. Denn wie gerne würde ich heute noch mal für einen Augenblick die Bodenhaftung verlieren. Doch eine unsichtbare Haftcreme bindet uns im Alter fest. Aber um dich zu beruhigen: mit 95 denkst du nicht mehr daran, was du vor sechzig Jahren alles tun konntest. Sondern fragst dich vor allem, was du vor sechzig Minuten getan hast.
Du denkst auch nicht mehr daran, wie du einmal aussahst. Sondern hast zu ignorieren gelernt, was dir der Spiegel als neue Realität vorgaukelt. Fifthy shades of grey and gravity. Immerhin dein Geist altert nicht. Du denkst noch immer in den ähnlichen konzentrischen Bahnen, in deren Mittelpunkt sich alles um die Suche nach dem Sinn und der nächsten Mahlzeit dreht. Apropos schwer verdaulich: glaub mir, dünner wird’s nicht mehr. Egal, was du isst, die Kleidergrößen steigen linear. Doch mit der Schwere kommt eine angenehme Leichtigkeit. Dein Interesse an dieser einen oder jeder anderen Stelle an deinem Körper fällt linear ab. Ich glaub es war Mitte der Sechziger, als du das letzte Mal an dir heruntergeschaut hast. Da kriegt man eh nur Nackenschmerzen von. Und das Zipperlein konntest du nicht auch noch gebrauchen.
Und wie ist die Welt so? Sie hat sich kaum verändert. Es reden noch immer alle vom nahenden Ende. Die Apokalypse beginnt eben wie jede Diät immer morgen. Nach – wie hieß es noch, ach ja – Corona haben sich alle erst mal ein Astra Zeneca aufgemacht. Anschließend wurde es ein wenig hektisch rund um die Sache mit dem Klima. Viel wurde unternommen, manches bewirkte sogar etwas, manches nichts. Eisbären und Autos gibt es noch immer. Dafür hast du seit vielen Wintern die Heizung nicht mehr angemacht. Seit du in ein nachhaltiges Altern-Heim gezogen bist und alle von einem schlimmen Meteoriten sprechen, den sie Donald getauft haben, verfolgst du die allgemeinen Debatten nicht mehr so intensiv. Nach dir die Sintflut. Wobei du dich auch auf den letzten Metern noch bemühst, ein verantwortungsbewusstes Leben zu führen. Nur das Experiment mit dem Holz-Rollator währte nicht lange. Krachend gescheitert. Seitdem schickst du vor allem dein Hologramm zu externen Terminen. Also zu Arztterminen. Gründe zum Ausgehen gibt es leider nicht mehr viele. Die meisten, die ein Leben lang mit dir gefeiert haben, sind nicht mehr da. Das auszuhalten ist das schwerste, nein das einzige schwere am Altern. Dieses schleichende Schwinden aller Wegbegleiter. Daher mein innigster Rat: liebe, spüre, unterstütze, achte die Menschen in deinem Leben – jederzeit, hemmungslos. So, als gäbe es kein Morgen. Denn irgendwann gibt es kein Morgen mehr. Und dann sitzt du mit 95 irgendwo und weißt nicht mehr wohin mit deiner sich anstauenden Liebe. Ok, du hast im Heim tatsächlich noch mal jemand kennengelernt. Aber er isst Fleisch. Illegal natürlich. Das muss man sich mal vorstellen. Alleine wie er den Singvögeln hier nachstellt. So richtig glaubst du nicht an eine gemeinsame Zukunft. Aber wer weiß schon was Morgen ist. Du lässt es auf dich zukommen.
Ohne jetzt zu arrogant zu wirken, aber ein bisschen muss ich schon über dich, mein junges Ich, lächeln. Den Großteil deines schönen Lebens hast du nach vorne geschaut. Bist irgendwas entgegengelaufen, selten hinterhergerannt. Schwanktest zwischen Vorfreude und Vorsorge. Du kämpftest immer wieder mit dem Pessimisten und dem Optimisten in dir. Dabei übersahst du zu oft den Realisten in dir – jene Stimme in dir, die die Realität wahrnimmt wie sie ist. Vor lauter Vorsorge über das, was einmal sein könnte, hast du manches Mal vergessen das zu sehen, was gerade ist. Im Alter hat sich das Ganze nun umgekehrt und du ertappst dich dabei, wie du zurückschaust auf das, was einmal war. Oder du ertappst dich dabei wegzudösen. Das kommt auch exponentiell häufiger vor. Mein letzter Rat lautet daher: denke nicht an mich, sondern an dich.
Deiner Vorsorge bin ich gleichwohl natürlich dankbar. Ich haue die Kohle jetzt auf den Kopf und gönne mir eine Kugel Eis von deiner so fleißig angesparten Rente. Die Eisdielen haben nämlich inzwischen das ganze Jahr geöffnet. Du siehst: Daumen hoch für deine Zukunft.
Bis bald, also verdammt weit weg bald,
Deine Alte.
2 Gedanken zu „Vorsorge.“
Das Warten auf den Schellenaffen lohnt sich! Das ist das Erste was ich heute los werden will!
Da ich dem „Alten Ich“ schon etwas näher bin (genau 30 Jahre),kann ich nur sagen, alles stimmt! Beim lesen konnte ich immer wieder mein eigenes Bild vor Augen sehen und alles was in, mit und um mich herum passiert wiedererkennen! Das tat gut! Die Erkenntnis das dies (noch) viel gehasste Wort „Altersbedingt“ garnicht so schlimm ist, war erhellend. Die andere Erkenntnis ist die, dass ich, wenn mich mal wieder der Frust über meine momentane Verfassung plagt,den Schellenaffen lesrn werde und er mich an den Dingen die (noch) gehen erfreue. Anstatt Vergangenem nach zu trauern und Zukünftigem ängstlich entgegen zu blicken. In diesem Sinne, hat der Schellenaffe meinen Montag great gemacht!!
Die Sache mit dem Älterwerden relativiert sich sehr schön, wenn wir uns klarmachen dass wir immer heute leben, morgen geht gar nicht., denn das Morgen verwandelt sich noch bevor es richtig da ist ins Heute. Dieses Heute kann allerdings lange dauern und älter werden wir dabei auch, aber nur ganz allmählich, und daran können wir uns in aller
Ruhe gewöhnen….