Die Offenbarung.

Offenbarung Tür offen Öffnung Hauseingang geschlossen

Man gewöhnt sich ja an alles. An diesen Fetzen Stoff vor der Nase. An diese Spritpreise an der Säule. An das Dasein ohne Flugreisen. Man gewöhnt sich sogar an ein Leben ohne Termine. Ohne Pläne. Ohne Verabredungen. Ohne irgendwas. Man lebte monatelang in den immer gleichen Tag hinein. Und hinaus. Hinein. Und hinaus. Man hatte so viel Zeit wie noch nie, denn es gab nichts und niemand, der sie beanspruchte. Außer dem Schrittzähler, der den Kreisen, die man um seine Behausung drehte, einen vermeintlichen Sinn gab. Man hielt das alles durch, weil man wusste, es gibt irgendwann ein Hinaus aus diesem Leben hinter den Möglichkeiten. Irgendwann würde alles wieder so sein, wie es einmal war. Das gemeinsame Bedauern dieser kollektiven Gefahrenbremsung schweißte uns zusammen. Wir arrangierten uns in diesem Zustand, der nicht mal mehr das Niveau eines Rentnerlebens erreichte. Wir träumten vom Schlafen in fremden Betten, von Umarmungen und Tagesgerichten. Viel mehr wertschätzen würde man alles, was so selbstverständlich erschien. Sich mit ach so viel Achtsamkeit und Leidenschaft in das stürzen, was einen früher aufbaute.

Doch nun ist er da dieser Moment, an dem die Selbstverständlichkeiten zurückkehren. Hier ist er nun, der Tag, an dem man wieder Geld dafür bezahlt, dass einem jemand ein Getränk öffnet. Der Tag, an dem man Dinge in der Hand hält, die man kaufen möchte. Der Tag, an dem man mal keine Zeit hat. Auf einmal sind sie zurück: die Möglichkeiten. Und mit ihnen ist das zurück, was uns manchmal so schwer erscheint: Entscheidungen. Die Entscheidung darüber, welche Naturdokumentation man heute schaut ist der Frage gewichen: Was mache ich wann mit wem?

Und warum eigentlich? Denn allmählich dämmert es uns: Wie viel kann ich eigentlich noch aushalten – an unterschiedlichen Haushalten? Habe ich mich so sehr daran gewöhnt im Exil zu leben, dass ich mich entwöhnt habe von dem, was mir so wichtig erschien? Von diesem irgendwas mit Menschen.

Verängstigt sagt man sich „Das geht jetzt aber auch sehr schnell…“. Da macht man erst mal besser noch nicht mit. Ganz verantwortungsvoll im Sinne der Gesellschaft spaziert man weiter – vorbei an ausgebuchten Restaurants, die gefüllt sind mit Abenteurern auf der Suche nach dem Kick eines frischgezapften Bieres. Versucht man es doch einmal mit dem Fremdessen, freut man sich erstmals in seinem Leben über jenes herablassende „Haben Sie reserviert? Nein? …“, das einen so oft verzweifeln lies. Man geht leichten Schrittes nach Hause und isst ein Käsebrot. Die Stulle in der Stille, nur gestört vom Vibrieren des Telefons. Das Augenlid beginnt zu zucken angesichts der vielen Anfragen. Ob man was unternehmen möchte? Ja, klar. Einmal in der Woche vielleicht. So für eine Stunde. Wenn es hoch kommt. 52 Verabredungen im Jahr müssen reichen. Alles andere erscheint wie ein Übermaß an Menschlichkeit. Wie etwas ganz und gar Übermenschliches eben. Kaum hat man sich an ihn gewöhnt, verschwindet dieser elende Virus. Genau dann, wenn man ihn braucht. Immer dünner wird die Fassade aus „Dieses Testen ist ja so lästig“ und „Ich bin noch nicht geimpft“. Bald steht man wieder nackt da ohne triftigen Grund dafür, sich nicht mit Menschen abzugeben. Überall kann man wieder einchecken – in sein altes Leben, das einem plötzlich irgendwie gewöhnungsbedürftig erscheint. Offen gesagt: geschlossen war manchmal auch ganz ok.

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Doch so wie man sich schleichend an Gesichter ohne Münder und ein Wattestäbchen im Großhirn gewöhnte, so braucht es eben etwas Zeit, um sich wieder an Gespräche und die Preise für eine Pizza zu gewöhnen. Und doch sollte man vielleicht versuchen, sich ein wenig dessen zu bewahren, was einem bei aller Sorgen und Frustration in den letzten eineinhalb Jahren als ungewöhnlich gut erschien: das spontane Leben in den Tag hinein, die intensive Zeit mit den eigenen Kindern, die Freude über das Wiedersehen mit wichtigen Menschen, die Zeit seine Gedanken zu sortieren… Jetzt wo es wieder möglich ist, sollten wir mehr von dem tun, was uns als völlig „unentwöhnbar“ in der Zeit der Entbehrungen erschien. Der Genuss einer Pizza Diavolo für 16€ oder der Kauf eines Sommerkleides dürfte da eher auf den hinteren Plätzen rangieren. Nach den Monaten, in denen wir jeden Schrank unserer Existenz aussortiert haben, sollten wir nun als letztes auch das aussortieren, was unserem Leben Hektik und Stress verursacht. Denn bevor wir wieder „hochfahren“, sollten wir uns vielleicht erst einmal überlegen, wo wir hinfahren wollen.

Und wer die Karte dabei liest.

2 Gedanken zu „Die Offenbarung.

  1. Ach, ist schon wieder Montag…der erste Montag im neuen….Leben, ach Quatschen im neuen Monat! Aber es stimmt schon was der Schellenaffe heute zum Thema hat….ein neues /altes Leben scheint wieder möglich! Nutzen wir es! Aber für was!? Der eine fliegt, egal wohin nur weg! Der Andere geht shoppen, zum Friseur, zum Fitness Studio….nur nicht mehr spazieren! Der dritte genießt seine Lieben! Endlich Wiedersehen, umarmen, sich live erleben beim Erzählen ach was tut das gut! Genießen wir das was “ geht“ mit Augenmaß und Vorsicht aber auch mit Freude . ..denn wir wissen nicht , wie lange es uns vergönnt ist!

  2. Es wäre wirklich schön wenn wir aus der Pandemie etwas lernen würden, z. B. dass nicht alles, was wir nicht konnten, wirklich schlimm war, und manches neuentdeckte bewahrenswert ist. Aber freuen über wiedergewonnene Möglichkeiten können wir uns schon …
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