Blasenerzürnung.

Blase Seifenblasen Schellenaffe Himmel

Früher war es der Hauptbahnhof. Dieser miefige, dunkle Ort voller Tauben und unfreundlicher Gerüche. Voller Reize und Rangeleien. Dieser Ort übervoll mit fremden Menschen. Menschen unterschiedlichster Schichten und Oberflächen. Menschen, denen man sonst nie und nie wieder begegnen würde. Und das jeden Tag.

Heute ist dieser Ort, an dem sich alle versammeln, um sich zu vermischen, steril und sortiert: Facebook. Guter Witz. Dieser Ort ist heutzutage das Impfzentrum. Er ist der Ort, an dem wir für einen kurzen Piks aufeinander treffen mit Menschen aller Schichten und Oberflächen. Und dann wieder verschwinden – immunisiert zurück in unsere Blasen, aus denen wir kamen. Der Besuch im Impfzentrum lässt einen kurz erwachen und sich erinnern. Daran, dass man nicht alleine auf dieser Welt lebt, sondern umgeben ist von anderen sprechenden Blasen. Nachdem wir sehr viel Zeit mit uns selbst und den uns selbigen verbrachten, sind wir beinahe überrascht, dass die anderen auch noch da sind. Wir dachten, unsere Welt sei die Welt da draußen. Doch nun stoßen wir da draußen wieder auf jene Blasen, denen wir so schöne Namen gaben wie „alter, weißer Mann“, „linksversifft“ oder „Helikopter-Eltern“. Doch wie reagieren die Blasen, wenn sie sich nach der Zeit des Abstandhalten wieder näher kommen?

Viele platzen. Sehr schnell. Und immer häufiger entweicht dabei ein Shitstorm. Ein unbedacht  (un)gegendertes Wort, ein Inlandsflug, eine zynische Übersprungshandlung unterforderter Tatortkommissare, ein Kinderchor, der irgendwas singt, ein „kreativer“ Lebenslauf und zack, es formiert sich die Armada der anonymen Hasstrolle, die einem irgendwas zwischen Ökodiktatur und Rassismus vorwerfen. Die so schnell nach Rücktritten schreien, dass bald Kleinkinder in die großen Fußstapfen treten werden, weil es uns bald an unbefleckten Erwachsenen fehlt. Wobei Kinder mit ihrem Hang zur körperlichen und verbalen Übergriffigkeit den Job auch nicht lange machen werden. Vielleicht stehen wir vor dem Zeitalter der Steine. Wer weiß. Die Form der allgemeinen Debatten hat jedenfalls etwas Steinzeitartiges. In Zeiten eines Wahlkampfes, der sich um biografische Fehltritte dreht, wird das besonders deutlich. Er gleicht einer chronischen Blasenentzündung.

Wann wurde aus dem Debattieren ein Proklamieren? Wann wurde aus dem Streit um die Sache ein Kampf ums Überleben? Wann wurde die Ablehnung das, was uns am Ende noch verbindet? Vielleicht ist es das Brennglas der Pandemie, die Vorahnung der Verteilkämpfe, die der Klimawandel auslösen wird, die allgemeine Übersättigung unseres Daseins und die Sache mit unsozialen Netzwerken. Jedenfalls scheint sich in den letzten Jahren etwas bahnzubrechen, das irgendwo zwischen „cancel culture“ und „Was darf man denn noch sagen ?!!1!!“ changiert. Man möchte gefälligst sagen dürfen, was man denkt, in seiner Blase, in der alle das gleiche denken und sagen.

Ja, wenn wir die Welt zum Guten verändern wollen, dann braucht es starke Meinungen, gemeinsame Werte und Mut zur Kritik. Und weitere Textbausteine einer Wahlkampfrede. Denn eine klare Haltung ist das, was uns am Ende Größe gibt. Das uns nach außen vor Hass, Missgunst und Abgründen schützt. Doch gleichzeitig brauchen wir etwas Offenes, Weiches, Durchlässiges im Inneren dieser Mauern. Denn wenn jeder seine Meinung einfach nur verteidigt, werden aus den Blasen kleine Patronenkugeln, die aufeinander prallen. Wir sollten unsere Sichtweisen erklären, anstatt sie herablassend zu verteidigen. Wir sollten aufhören, Stellvertreterdiskussionen über kopierte Doktorarbeiten und Gendersternchen zu führen und uns mal um das Wesentliche kümmern. Der nächste Shitstorm sollte uns schietegal sein. Wir sollten aufhören, in Blasen zu denken, in denen jeder Veganer ein Aktivist, jeder weiße Mensch ein Rassist und jeder Ungeimpfte ein Vollidiot ist. Doch bevor wir all dies tun, sollten wir mal bei uns selbst anfangen. Schon der kleine Prinz wusste „Es ist viel schwerer, über sich selbst zu richten, als über andere zu urteilen. Wenn du es schaffst, selbst über dich gerecht zu werden, dann bist du ein wahrer Weiser.“ Ein bisschen mehr Demut und Gelassenheit stünde uns Blasierten ganz gut.

Denn komisch sind ja immer die anderen.

Nur leider bist du für irgendjemand dieser andere. Am Hauptbahnhof. Oder im Impfzentrum.

2 Gedanken zu „Blasenerzürnung.

  1. Montag Morgen in der Schellenaffen Fan Gemeinde! Hallo meine Lieben wo, wer und was ihr auch alle seid! Ja, ich wollte einfach mal eine gute Stimmung verbreiten, eh wir alle schmunzelnd, Stirn kräuselnd und sinierend in unseren Alltag aufbrechen! Denn ,dass hat der Schellenaffe wieder auf seine unnachahmliche Weise geschafft! Ich werde mir als Essenz aus diesen vielen Wahrheiten den Spruch, ziemlich am Ende des Artikels, vom „Kleinen Prinzen“ als Leitmotto mit in meinen Tag/Woche, Monat….nehmen:“ Wenn du es schaffst selbst über dich gerecht zu werden, bist du ein wahrhaft weiser Mensch!“ Einfach ausgedrückt, erst mal an die eigene Nase fassen! In diesem Sinne einen schönen Monat mit weisen Erkenntnissen über uns selbst!

  2. Zu so vielen Gedanken lässt sich nicht viel hinzufügen. Ein Problem ist sicher die zunehmende Zahl selbstbeauftragter Korrektheitsapostel, die den Rest der Menschheit missionieren wollen. Denen können wir in aller Ruhe sagen „Ihr macht Euer Ding und wir unseres und worüber wir uns aufregen, entscheiden wir selber“

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