Das isch huere guet. Ich schaue in das Antlitz der vermeintlichen Edelprostituierten mit Gütesiegel. Sie heißt Emmi und sieht in der Tat frisch und appetitanregend aus. Emmi ist ein Pfirsich-Maracuja-Joghurt. Eine ernsthafte Haltung bewahrend entledige ich die huere guete Emmi ihrer Verpackung, tauche meinen Löffel in sie hinein und beginne schweigend zu genießen.
In meinem Kopf scheppert der Affe „Welcome back to Switzerland“ – ein Land voller Überraschungen, Eigenarten und sich bewahrheitender Klischees. Während der alpine Nachbar Österreich sich seiner Mehlspeisen erfreut und ansonsten in diffuser Gewöhnlichkeit in Frieden gelassen wird, platzt diese von einem gewissenhaften Zoll zusammengehaltene Schweiz vor Vorurteilen und Stereotypen. Die Schweiz ist sauber, höflich, teuer, bergig, produziert lebensverändernde Schokolade und bausparverträgeauflösende Uhren, redet komisch und und… Dies ist alles ausnahmslos korrekt. Oder korräkt wie der Schweizer verlauten würde.
Preisniveau und Berge sind quasi identisch: sie sind beeindruckend hoch und rühren Gäste zu Tränen (mitunter auch zur Schwindelei). Ob Matterhorn oder Milchpreise, die Schweizer lieben ihre Berge und ihre Währung – halten ihre Dimensionen aber für völlig normal proportioniert.
Normal ist auch die Benutzung öffentlicher Toiletten und der Verzicht auf Zugverspätungen in diesem blinkenden Altersruhesitze von Meister Propper. Dreck und Chaos haben in der Schweiz einfach keine Aufenthaltsbewilligung. So kann man auf Schweizer Bahnsteigen durchaus bedenkenfrei Butterbrote schmieren und seine Steuererklärung sortieren. Es gibt keine (sichtbaren) Obdachtlosen, keine unkontrollierten Warteschlangen, keine Glasflaschen im Hausmüll. Dieser gemeinschaftliche Ordnungssinn gibt diesem kleinen Land einen festen Rahmen.
Eine unordentliche Sprache ist wiederum das, was dieses urige Bergvolk in diesem Gefüge zusammenhält. Und nach außen hin abgrenzt.
Für ungeübte Ohren hört sich die Schweizer Sprechweise an wie Dänisch mit Bronchitis oder wie das Gestammel eines Verniedlichungs-Tourettpatienten. Man wünscht sich ein schönes Tägli – als wären die Tage hier nicht nur besonders kostspielig, sondern auch besonders knuffig und kurzgewachsen. Man trinkt es Wiili, als würde man süßen Kindersekt trinken. Man zieht sich ein Jäckli über, wenn es Wölkli am Himmel hat. Ob die Wolken dabei die Größe des Kantons Appenzell haben, ist nebensächlich. Und ja, es hat Wolken am Himmel, so wie es noch Milch im Chülschränkli und viele Lüüt auf einem Konzert hat. Und wie es keine einzige eindeutige Schreibweise für schweizerdeutsche Begrifflichkeiten hat. Nicht nur redet jeder Straßenzug eines Dorfes anders, er schreibt auch, wie die Finger dem Mund folgen möchten. Grüezi Buchstabengrütze! Ein Paradies für Legastheniker, die Hölle für jeden kommunikationsinteressierten Fremdsprachler.
Und mit Fremdsprachler sind Deutsche eingeschlossen. Franz Josef Strauß hört sich im Vergleich auf einmal an, als käme er gebürtig aus Hannover. So lauschen die völlig zurecht als arrogant und plump bezeichneten Deutschen den Schweizer Abendnachrichten und brüsten sich siegessicher damit, dass sie des Schweizerdeutschen so mächtig seien wie der Einfühlsamkeit. Doch die von rollenden r`s und skurrilen Ausdrücken (wie parkieren, retournieren, grillieren) durchzogenen Meldungen sind in höchst avantgardistisch interpretiertem Hochdeutsch vorgetragen. Das Erwachen ist sodann wolkenverhangen, wenn die Berner Wetterfee einfühlsam und scheinbar Brunftlaute verwendend versucht zu erklären, dass es morgen ä chlii viu Wülchli am Himmu chönnt ha. Nicht zuletzt sind deswegen Deutsche auch in der Schweiz stets an multifunktionalen Jack Wolfskin Jacken zu erkennen. Sie haben schließlich den Wetterbericht nicht verstanden und müssen sich auf alle Unwägbarkeiten variabel einstellen. Schweizerdeutsch steht dem Deutschen so nah, wie das Verteidigungsministerium der Gummibärenbande.
Den größten Fehler, den man als Nichtschweizer sodann machen kann, ist zu versuchen, sich der Eingeborenen-Dialektik anzupassen und selber zu radebrechen. Denkt man, man könne in diesem Land der scheinbaren willkürlichen Kombination von Konsonanten und Umlauten einfach nichts falsch machen – so scheitert man bereits am unblamablen Vortrag eines Grüezis. Sprich kein Schweizerdeutsch, sofern du nicht Schweizer oder ein betrunkener Badeneser bist – es kommt nur Grütze heraus!
Die hör- und sehbaren Klischees sind so unendlich wie vermutlich die Schweizer Schreibweisen für Schelläaff. Doch der wahre Kern der Schweiz ist ein anderer. Ein weniger offensichtlicher, aber genauso realer. Es sind die Menschen, die diesem Land einen so eigenen Charakter geben. Es ist dieses so eigenartige und liebenswerte Volk der sehr ordentlich gepflegten und verzollten Gegensätze. So recht will der Schweizer eigentlich in keine Schublade oder kein Chuchichäschtli hineinpassen.
So scheint die Schweiz in sich zerstritten. Sie ist sprachlich und kulturell durch den Röstigraben (zwischen deutschem und französischem Teile) getrennt. Das Tessin wird mitunter komplett verleugnet, wie ein lauter, peinlicher Familienzweig vom Niederrhein. Berner werden ob ihrer Sprechweise belächelt wie Schwäbische Grundschüler. Gleichzeitig ist es ein Land des offen ausgetragenen Nationalstolzes – sichtbar als Fahnenmeer im Vorgarten oder rot-weiße Kreuze auf Joghurtbechern und Zahnarztpraxen. Das Schweizer Nationalbewusstsein ist geprägt von Stolz und Ehrfurcht vor der eigenen Lebensqualität und globalen Qualitätswahrnehmung seiner Errungenschaften. Dieser Nationalismus ist jedoch vor allem nach innen gerichtet. Er gibt das Gefühl von Sicherheit und Zusammenhalt durch Abgrenzung nach außen. Nicht durch Eroberung anderer Kulturen oder das Gefühl der eigenen Überlegenheit. Dafür ist der Schweizer viel zu dezent und zurückhaltend.
Geordnet und kontrolliert öffnet sich der Schweizer dieser diffusen Welt da draußen. Zum einen, indem er reist. Es gibt keinen Urlaub, in dem nicht ein freundlicher Schweizer neben einem stehend den Sonnenuntergang mit „Huere schön, oderrr?“ kommentieren würde. Den Ungeübten mag dabei die Offenheit gegenüber des Sextourismus irritieren. Zum anderen kann dieses Land so außerordentlich gastfreundlich sein. Schweizer bitten Besucher an ihren Tisch, an ihren Raclettgrill oder Fonduetopf, um sie an der Schönheit ihrer eigenen Heimat teilhaben zu lassen. Zu Ausländern, die dauerhaft im Land bleiben möchten, sagt er hingegen eher „Huere nid schön“ und möchte sie am liebsten gen Herkunftsland retournieren. Besuchen und bewundern ja, bleiben und bewohnen wenn es sein muss.
Der Schweizer ist im besten Sinne unaufgeregt und gutgläubig. Er streikt nicht. Er schert sich nicht um Prominente. So badet Roger Federer seinen millionenschweren Körper im öffentlichen Freibad und Tina Turner radelt unbehelligt um den Zürisee. Er lässt seine Haustüre offen stehen und bekommt Pakete in eine unverschlossene Klappe geliefert (Milchkästli). Der Grund hierfür ist ein tiefer Respekt vor Menschen. Man verletzt sich nicht, man beklaut sich nicht, man lässt sich ausreden, man achtet den anderen.
Wenn man so darüber nachdenkt, ähnelt die Schweiz eigentlich einer von Hügeln und Harmonie umgebenen Gummibärenband. Eine uh huere gueti Määrliwält.
2 Gedanken zu „Welcome to Zwitscherland“
Wär hat es erfunde? HÄ!!!😊
Bleibt nur noch zu erwähnen das ein zugezogen Dütscher am Anfang seiner Daseinsberechtigung in der Schweiz darauf achten, muss was er einkaufen will. Denn Paprika ist nicht Paprika sondern Peperoni. Zwiebeln sind Bölle (haben nichts mit Feuerwerkskörper gemeinsam),Kalbsrouladen sind Kalbsvöggele und Eis ist „es „Glace. Nicht zu verwechseln mit dem Express!
Und Grätschüli haben nichts mit dem selbigen Halteapparat der Fische zu tun. Alles nicht so einfach…. aber da kommt dann ein lieber Schwiezer und hilft dir unwissenden nicht Eidgenossen gerne weiter!! Das habe ich selbst 5Jahre „genossen „. Einfach huere gut dies Ländle!😉,oderr?