Sex, Körpersäfte und Schamesröte – wie prüde bist du?

Prüde Mexikaner Esel

Verklemmt. So möchte man weder die eigenen Reißverschlüsse noch den persönlichen Charakter beschrieben wissen. Spießig sind schließlich immer die anderen. Doch wie prüde oder freizügig sind wir eigentlich? Auf einer Skala von 1 („Ich fasse mich nicht mal selber an, selbst wenn ich in einer Mückenfarm im Amazonasdelta nächtige“) bis 10 („Charlotte Roche würde erröten, wenn sie mit mir einen Latte tränke.“)?

Reflexhaft möchte man behaupten, im soliden, entklemmten oberen Bereich des Prüderie-Kontinuums angesiedelt zu sein. Wir sind weltoffene, tolerante Freigeister, mit denen man über alles total locker sprechen kann. Pervers finden wir höchstens frittierte Snickers. Die Messlatte für eigene Schamesröte liegt jedenfalls hoch. Man läuft schließlich nackt durch die eigene Wohnung und beim Wort Latte kichert man schon lange nicht. Das bringt uns alles gar nicht wedelnd auf die Palme.

Man hält sich für normal und unverklemmt – doch dann trifft man Menschen, die einen mit Dingen konfrontieren, die man verstörender findet, als die Vorstellung, dass Donald Trump Kinder gezeugt hat. Denn ehe man allzu „herabblasend“ über die Menschen urteilt, die immer zufällig lieber nach dem Sport zuhause duschen, sei gefragt: verkraftet man beispielsweise die Vorstellung seiner eigenen Entstehungsgeschichte? Oder hofft man eigentlich nicht weiterhin auf empirische Studien, die diese ganze nette Erzählung mit den Blumen und Bienen wissenschaftlich belegen? Wer jedenfalls beim Gedanken an den Geschlechtsverkehr der eigenen Verwandten zumindest kurz schluckt, der ist schon mal keine 10. Wem bei der aufklärerischen Erzählung „Mein schönstes Wochenenderlebnis“ des homosexuellen Arbeitskollegen das Wurstbrötchen im Halse stecken bleibt, sinkt gemeinsam mit dem Niveau der Tischgespräche auf eine wohlwollend gerechnete 8. Wer als Frau dann noch die eigenen Tage mit „Erdbeerwochen“ oder „Ich bin unpässlich.“ beschreibt, rutscht von der Mitte, zur Titte, zum Sack, hinab. Zackzack. Und wer dann noch „Wie sind Amorelie Pakete beschriftet?“ googelt, ist wohl unfreizügiger als Großbritannien nach dem Brexit. Obwohl ihm die Tatsache, dass er Kunde eines Erotikversandhandels ist, mindestens einen halben Punkt einbringen dürfte.

Ehe man sich versieht schwindet der Glaube an den eigenen Schamhochsprung. Und man wünscht sich auf einmal sogar prüde zu sein, wenn es normal ist, jemanden nüchtern zu fragen, ob sie einen Dreier hatten, wo sie gelernt haben, eine Sexschaukel sicher zuverdübeln oder ob sie es eigentlich waren, die vergessen haben, die Klobürste zu benutzen? Die Betonung liegt hier im Übrigen auf „nüchtern“. Durch Alkoholkonsum verschiebt sich schließlich das gesamte Kontinuum. Das ist wiederum durch unzählige Feldversuche unter dem Motto „Nüchtern zu schüchtern. Besoffen zu offen.“ empirisch belegt (siehe auch Alkohol – ein Wechselbad im Punsch der Zurechnungsfähigkeit). Die unterste Stufe des promillisierten Prüderie-Index ist direkt eine solide 3. Eine Promillegrenze nach oben existiert wiederum nicht mehr. Schamesröte setzt schließlich erst am nächsten Morgen wieder ein.

Doch am Ende zeigt dieser zugegeben völlig willkürliche Fragen- und Aussagenkatalog wohl nur eines: es gibt keine standardisierte Skala der Prüderie. Ob prüde oder pervers, ob vulgär oder weltoffen, die Entscheidung wird im eigenen, mehr oder weniger durchtriebenen Kopf gefällt. Jeder schämt sich unterschiedlich, ekelt sich vor anderen Dingen. Den Cocktail der Körpersäfte, über die man sprechen möchte, mischt jeder unterschiedlich. Und nur weil man vielleicht nicht über Themen freimütig spricht und seine Offenherzigkeit zur Schau stellt, heißt es schließlich nicht, dass man Dinge nicht tut. Warum würde es sonst Swingerclubs, Online-Erotikshops und eine gigantische Pornoindustrie geben können, wenn Worte immer notwendigerweise mit Taten verbunden wären. Und wie prüde ist eigentlich jemand, der über Sex so freimütig und ausführlich redet als sei es eine Wurzelbehandlung, aber nicht seine eigenen Gefühle artikulieren kann? Prüderie bleibt wie die Frage nach zweckdienlicher Bekleidung für den Ritt eines Esels eine Ermessensfrage.

Meine eigene Selbstvermessung ergab im Übrigen: ich bin eine 1(,)0. Oder irgendwas dazwischen. Irgendwas in der Grauzone eines schattenspendenden Sombreros.

Ein Gedanke zu „Sex, Körpersäfte und Schamesröte – wie prüde bist du?

  1. Wer sich so freimütig diesem ach so heiklen Thema annimmt , ist mit Sicherheit nicht 1.0 auf dieser Prüderie Skala 😊. Aber ansonsten stimme ich vielen zu! Wie heißt es im Rheinland so schön….jede Jeck is anders und geht mit diesem Thema anders um. In diesem Sinne….nur nit überdrive!!🤗

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