Ach, das war dieses Jahr? – Vorbereitung auf den Rückblick 2018.

Jahresrückblick 2018

Wer stand im Finale der Fußballweltmeisterschaft 2018?

Na? Allen, die an dieser Stelle kurz nachdenken mussten oder gar noch immer in den gedanklichen Schubladen des Sommers wühlen, sei gesagt: Schlagzeilendemenz ist normal. So normal wie die Tatsache, dass wohl kaum einer noch den Namen dieses tollwütig kühnen Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz buchstabieren kann, der im Frühherbst für ein politisches Kammerspiel sorgte. Warum es sein Amt eigentlich genau gibt und was damals in Cottbus passiert ist, daran erinnert sich vermutlich auch nur noch der Bürgermeister von – ach, ne es war ja Chemnitz.

Und so nähern wir uns langsam dem alljährlichen Klassentreffen des Vergessens. Während wir noch versuchen, ein kleines bisschen Restsommer im Herzen zu behalten, bricht sich um uns herum der Weihnachtstrubel Bahn. Menschen beginnen nach den Silvesterplänen zu fragen, die Zeiten ohne Socken sind vorbei und Firmen verteilen Budgetreste, als gäbe es kein Morgen. Als gäbe es kein 2019. Gleichzeitig beginnen sich Rundfunkanstalten – und Günther Jauch – auf eine alterprobte Tradition vorzubereiten: den Jahresrückblick. In der Regel wird mit Beginn des letzten Monats eines jeden Jahres die Rückschau auf die vergangen elf Monate gewagt. Politische Affären, sportliche Großereignisse und irr()witzige Einzelschicksale werden zusammengeworfen, durchleuchtet, erneut durchlebt. Und in der Regel sitzen die Zuschauer, Leser und Zuhörer sodann vor den Medien und fragen sich: ach, das ist dieses Jahr passiert?

Längst vergessen sind die olympischen Winterspiele – irgendwo in Asien. Apropos Asien: da war doch dieser etwas missglückte Ausflug in irgendeiner Höhle in Thailand. Je niedriger der Sauerstoffgehalt in der Grotte wurde, desto höher wurde doch damals die Brennpunktdichte. Zum Thema heldenhafte Befreiung: Wie hieß eigentlich noch mal dieser türkisch-deutsche Journalist, der von Kameras und Mikrofonen begleitet aus der Haft entlassen wurde? Hat Prinz Harry wirklich dieses Jahr geheiratet? Wurden da nicht auch wieder irgendwelche Thronerben produziert, denen man allen einfach nur einen möglichst geringen großväterlichen Gen-Anteil wünscht? Mensch, und der Martin ist 2018 auch wieder endgültig nach Würselen gezogen.

In dem „Maaßen“ wie Medien Schlagzeilen produzieren, wir uns tagelang monothematisch fesseln lassen und wochenlang sich im Kreis drehende Debatten geführt werden, in dem Maße scheinen wir in der Regel diese Themen wieder zu vergessen. Wir scheinen fließend zu neuen Katastrophen überzugehen. Immer in der Annahme, dass diesmal wirklich das Ende der uns bekannten Welt droht. Dass uns diesmal das Wasser wirklich bis zur Unterkante Oberlippe steht. Und dass uns kein internationales Expertenteam uns mehr retten können wird.

Oder wer erinnert sich noch an die dramatischen Schlagzeilen 2017? Das Jahr, in dem gewählt und wir alle gequält wurden. In dem Kohl starb und Hamburg auf „G20 Grad“ erhitzt wurde. Und was war das noch mal mit diesen Shitcoins?

Doch anders als die längst defekt in einer Ecke liegenden Fidget Spinner dreht sich die Erde anscheinend wirklich immer weiter. Weder mit der Jahrtausendwende und dem Millenium-Computer-Bug noch nach der Wahl Donald Trumps ist sie stehengeblieben und hat gesagt „Nö, keine Lust mehr. Wirklich nicht. Ihr könnt selber zusehen, wie ihr mit dieser fönfrisierten Luftpumpe zurechtkommt.“

Fidget Spinner

Die mediale Debatte und hysterische Diskussionskultur gleichen manchmal dem Versuch, eine Krebserkrankung mit einem Defibrillator zu behandeln. Immer droht das Weltende. Mindestens aber muss jemand zurücktreten. Oder eine historische Strafe, Niederlage oder Krise werden heraufbeschworen. Dabei übersehen wir dann gerne den schleichend langsamen Wandel unserer Welt. Wir erfreuen uns eines heißen Sommers und warten gleichzeitig darauf, dass sich mal langsam jemand um den ganzen Plastikmüll in unseren steigenden Weltmeeren kümmert – während wir erneut dem verbalen Vogelschiss einer Beatrix Storch erbost lauschen.

Anstatt eines depressiven Rückblickes wünscht man sich zum Jahresende mal mehr optimistischen Weitblick. Denn viel spannender als die Frage, welche Lehren Berlin mal wieder nicht aus der Bayernwahl zieht, ist doch der Gedanke, ob im Jahr 2118 jemand – mit einem Fidget Spinner in der dritten elektronischen Hand spielend – auf unser Jahr zurückblicken und sagen wird: „mein Gott, haben die das damals vergeigt!“ An das Endspiel zwischen Frankreich und Kroatien wird sich spätestens dann jedenfalls niemand mehr erinnern.

2 Gedanken zu „Ach, das war dieses Jahr? – Vorbereitung auf den Rückblick 2018.

  1. Neben diesem spritzigen, ironischen, nachdenklichen, zutreffenden und eindrücklichen Jahresrückblick können sich Jauch und Co. erst einmal verstecken. Bis sie begriffen haben was ein Rückblick bedeutet. Nämlich die Vorschau auf’s nächste Jahr und der Wunsch ,dass man aus Vergangenem lernt und nicht, sich auf die tragischsten, blutigsten und vernichtenden Story ’s zu stürzt ,nur um die Meute der nach Sensationen lechzenden Zuschauer zu befriedigen!!!
    Übrigens, Vergessen ist der Schutz vor dem Super-Gau im Kopf !😉
    Wieder einmal ein zum Nachdenken anregender Schellenaffe 👍👍👍

  2. ja, die Wahnsinnsskala ist nach oben offen, es lässt sich immer noch was Schlimmeres vorstellen, z.B. wenn wir den Gag aus dem letzten „Schlachthof“ (BR), wo der Kabarettist sagte „Horst Hoeneß“ und „Markus Rummenige“, weiterdenken und uns den Hoeneß als Innenminister und den Rummenige als Ministerpräsidenten vorstellen, oder gar den Maaßen als Bundeskanzler – das alles bleibt uns zum Glück bisher erspart, also Kopf hoch und Optimist bleiben …

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