Der Sonnentagsradler.

Sonnentagsradler Fahrrad Radler Fahrradfahrer Schönwetter Sonntagsfahrer Radfahren

In unserer Reihe „Sichtung seltener Spezien“ (siehe auch Vorhaben ist wie Machen – nur im Kopf. Zum Vorsatz keinen Vorsatz zu haben. oder Avantgarde und Altkleider – ein Ausflug in die Kunstszene.) widmen wir uns heute einer besonderen Gattung, die ausschließlich in Horden auftritt und nur dann gesichtet wird, wenn ihre hohen Ansprüche an klimatische Bedingungen erfüllt sind: der langsam scharwenzelnde Sonnentagsradler. Diese radikalisierte Variante des Sonntagsfahrers traut sich in der Regel nur aus seinen behüteten Hupstätten (Autos), wenn die tagesaktuelle Wetterlage es zulässt: bei präzisen 17-23 Grad, einer Regenwahrscheinlichkeit um und bei 0% und Windstärken, die dem eigenen Fortbewegungstempo ähneln (Stillstand). Nichts verunsichert den Sonnentagsradler mehr als ein unerwarteter Regenguss oder Gegenwind, der durch den Flug einer Biene ausgelöst wurde. Zudem besitzt er Gliedmaßen, die bei Temperaturen unter dem Frierpunkt (17 Grad) sofort drohen abzufallen. In der Regel verkriecht er sich nach solch einer Begegnung mit den Elementen der Natur für Monate unter einer Motorhaube.

Um jede Form der Transpiration zu vermeiden (er ist im Übrigen bekannt für seinen Gesang des „Ich kann doch nicht verschwitzt im Büro ankommen!“), ist die Transportation des eigenen Körpers stets von hoher Langsamkeit geprägt. Der Sonnentagsradler ist an seinem Trittverhalten im ¾-Takt zu erkennen: drei Viertel der Zeit rollt er im Schritttempo dahin, ein Viertel der Strecke tritt er geradezu gallopierend in die Pedale seines eleganten, rost- und dreckfreien Citybikes. Der Ausdruck „so gut wie neu“ trifft für gewöhnlich auf sein Fahrzeug zu, dessen Gangschaltung ebenfalls „keinerlei Gebrauchsspuren“ aufweist.

Der Sonnentagsradler ist ein vorrangig im Mai und Juni aktives Zug- und Schwarmtier. Doch anders als perfekt synchronisierte Fisch- oder Vogelschwärme zeichnet sich das Herdenverhalten des Sonnentagsradlers durch eine maximale Asynchronität aus. Die Bahnen der Sonnentagsradler sind meist verwackelt und kreuzen sich für Ausstehende scheinbar wahllos. Es bzw. er gibt keine Zeichen, die die Flugbahn berechenbar machen würden. Er trägt zwar keinen Helm. Aber fährt, als habe er einen am Helm. Ist der gemeine Alltagsradler – sein Näherungsfeind – darum bemüht, anderen Lebewesen seine Routenplanung durch Handzeichen und Blickkontakte mitzuteilen, zeichnet den Sonnentagsradler eine bewundernswerte Zuversicht und Gelassenheit aus. Manch einer missdeutet sie als Kurzsichtigkeit. Durch abruptes Bremsen und schlingernde Anfahrbewegungen macht er in der Regel auf sich aufmerksam. Achtet man im Großstadtlärm auf leises Fluchen und lautes Bremsen des gemeiner werdenden Alltagsradlers in seiner Nähe, kann man ihn sehr einfach in freier Wildbahn entdecken. Die Wildbahn ist ohnehin sein bevorzugtes Habitat.

Doch so plötzlich das Schauspiel begann, so plötzlich endet es wieder. Mit den ersten Sommergewittern und Hitzewellen verschwindet der Sonnentagsradler wieder in seinem klimatisierten Vehikel. Die Radikalisierung findet ein Ende. Der gemeine Alltagsradler erobert sein Gebiet zurück und radelt einsam – an hupenden Blechbergen vorbei – durch eine Feinstaubwolke dem Sommerregen entgegen. Nur noch das Knarzen seiner rostigen Gangschaltung begleitet ihn dabei. 

2 Gedanken zu „Der Sonnentagsradler.

  1. Ach herrje! Jetzt hat mich der Schellenaffe doch tatsächlich in eine Gattung gepfercht und ich fühle mich ertappt!
    Ich der ,klassische Sonnentagsradler, fühle mich schlecht und lobe Besserung!😉Werde von nun an mehr Obacht auf den gemeinen Alltagsradler nehmen und gelobe, mich mehr um die Signale meinerseits zu bemühen!🤣
    Herrlich,wie es dem Schellenaffen mal wieder gelungen ist, die kleinen aber feinen Unterschiede der Mitmenschen (Mitradler) so treffend, charmant und erheiternd zu beschrieben!!!🤗👏

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*