Die kalte Jahreszeit ist da. Und mit ihr ist – neben dem schrecklichen Moment, in dem man das erste Mal wieder „Last Christmas“ in irgendeiner Verkaufsstätte hört und verzweifelt feststellt, dass dieses Folterinstrument des modernen Music Boardings noch immer nicht aus dem kollektiven Gedächtnis gespült wurde – der Zeitpunkt gekommen, warme Kleidung zu tragen. Dicke Jacken, die an Rettungsringe aus Daunen erinnern. Schals, die Menschen enthalsen. Und warme Pullover, die die nie erreichte Bikinifigur endlich wieder kaschieren. Doch stellt sich nach den Monaten der textilen Leichtigkeit die Frage: wie ziehe ich eigentlich einen Pullover an und wieder aus? Eine essentielle Frage, die uns alle erwärmt, sich aber niemand stellt. Wie die Frage, was „last Christmas“ eigentlich so Nervtötendes passiert ist, dass man Generationen von Menschen damit „bestören“ muss.
Also, wie zieht man einen Pullover aus? Es gibt verschiedenste Techniken, derer sich die wenigsten bewusst sind. Den Von-unten-Hochzieher mit gekreuzten Armen, erkennbar an einer leicht invertierten Frisur nach Vollzug der Methodik. Oder den Rutsch-mir-mal-den-Buckel-hoch, der geradezu archaisch in seiner unstrukturierten, übergriffigen Ausführung wirkt. Oder den Ärmel-for-one. Hier stellt sich wiederum die Folgefrage der Abfolge, also mit welchem Ärmel begonnen und wann der Kopf befreit wird. Als letztes, was zur Folge hat, dass man den Pullover um den Hals trägt, wie eine dieser alten Halskrausen aus der Renaissance. Oder zwischendurch, was in einer garantierten Verstopfung der Dachluke und temporärer Orientierungslosigkeit enden wird.
Man merkt leicht: das Feld ist (ent)packend, und doch kaum wissenschaftlich erforscht. Ähnlich fesselnd ist die Frage: wo befindet sich das A, wie „automatisch“, auf der Tastatur? Die meisten werden nun in Gedanken das Wort „Auto“ tippen, um sich zu zur Antwort auf diese Frage – Achtung flach – vorzutasten. Dabei berühren wir dieses A täglich, mutmaßlich häufiger als jedes andere – räusper – A. So wie wir uns täglich die Schuhe zubinden. Ohne wirklich erklären zu können, wie man (selbst) eine Schleife bindet. Und wie man es eben nicht tut. Für unzählige Bewegungsabläufe kennt unser – ja was eigentlich? Hirn? Daumenmuskel? Betriebssystem? – Kontrollzentrum nur eine einzige, zigmal erprobte Abfolge von Handgriffen, Bewegungen und Hergängen. Wir steigen immer mit dem einen Bein zuerst in die Hose, wir greifen immer mit der einen Hand das Messer, wir falten (oder zwielichtige Gestalten zerknüllen es dem Hören sagen nach sogar, welch „Anarschisten“) das Klopapier immer gleich. Versucht man sich einmal in einer anderen Reihenfolge abzutrocknen, rutscht man beinahe aus und steigt feucht in seine Socken, die man auch immer entweder erst vor oder nach der Hose anzieht. Schneidet man spiegelverkehrt eine Scheibe Brot ab, schneidet man sich verquer in den Finger. Und merkt anschließend gleich: ein kleiner Schnitt für einen Finger. Ein großer Einschnitt für Bewegungsabläufe. Sich mit einem Pflaster am Zeigefinger die Zähne zu putzen, gleicht auf einmal einem endoskopischen Eingriff am Kniegelenk einer Feldmaus.
Der Körper funktioniert ohne unser Zutun. Denken hilft – wie so oft im Leben – selten. Es sind diese Automatismen, die unser Überleben, aber zumindest ein geordnetes Erscheinungsbild und Navigieren im Alltag sicheren. Es wirkt beinahe so, als sei dieses Scheppern im Kopf, diese Gedankenkarusselle und Redseligkeit des Menschen nur dazu da, ihm das Gefühl zu geben, hier irgendwas selber aktiv steuern zu dürfen. Wie ein Kind, das im Flugzeugautomaten vor dem Supermarkt spielen darf und denkt, es sei Pilot. Doch der Autopilot hat eigentlich die Kontrolle über uns und bestimmt unseren Alltag. Schaut man Kindern beim wachsen und lernen zu, merkt man, dass hier gerade der Autopilot programmiert wird. Und man merkt, dass man irgendwie froh ist, dass man diese Phase der Programmierung hinter sich hat. Dass man nicht mehr lernen muss, wie man rückwärts geht und vorwärts spricht. Versucht man im höheren Alter Dinge, wie Stricken oder Diplomatie zu lernen oder einen Tanzkurs mit Würde zu absolvieren, merkt man plötzlich, wie sehr einem der Autopilot fehlt und wie schwer dessen Manipulation sein kann. Denn beginnt man darüber nachzudenken, was man eigentlich tut, tut man dies selten gut.
Und doch kann es unterhaltsam sein, sich selber zu beobachten. Dabei zu beobachten, wie man immer das eine Auge zu erst mit Wimperntusche betüncht (und dabei immer den Mund weit öffnet). Wie man immer gleich in seiner Wohnung steht, ohne darüber nachgedacht zu haben, mit welchem Schlüssel man wie eine Haustür eigentlich aufschließt. Wie man immer gleich montags www.schellenaffe.de eintippt, ohne dass wir sagen könnten, wo sich alle Buchstaben auf einer Tastatur befinden und mit welchem Finger wir welche Taste drücken. Der Autopilot übernimmt das „wie wir etwas machen“ für uns. Doch das „warum wir etwas machen“ überlässt er weiterhin uns. Das bisschen Scheppern sei uns immerhin gegönnt. Darauf ein A.
3 Gedanken zu „Der Autopulliot.“
Heute hat mein Automatismus wieder funktioniert und es folgt ein früher Kommentar zu diesem herrlichen Schellenaffen! Es ist gut,dass unser „Autopilot“ so phantastisch funktioniert, und das (fast) ein Leben lang! Wenn dem nicht so wäre, ach herrje, was müssten wir viel Zeit darauf verwenden uns allein morgens ausgeht tauglich zu gestallten!!! Wie ein Kleinkind ,dem diese ganzen Programmierungen noch fehlen brauchten wir Stunden dazu. Also hier ist dem „Entwickler“der Maschine Mensch ein absolut genialer Trick gelungen ! (Wie so manch anderer auch) Wir sollten uns nur ab und zu, wie heute beim Lesen des Schellenaffen, daran erinnern wie genial wir eigentlich ausgestattet wurden und etwas pfleglicher und liebevoller mit uns selber umgehen! Denn die beste Maschine funktioniert nur so lange wie sie gut gewartete wird! In diesem Sinne genießt und schätzt eure Möglichkeiten und nutzt die freien Ressourcen für nützliche Dinge wie z.B.für die Gestaltung deines Lebens!😉
das Problem mit dem Pulloverausziehem hab‘ ich vor langer Zeit gelöst, ich bin auf solche mit Knöpfen oder Reißverschluss, auch Strickjacken genannt,
umgestiegen. Bei den vielen Automatismen lauert eine Gefahr, nämlich während des automatischen, meist richtigen Tuns von etwas oder jemandem unterbrochen oder gestört zu werden, dann kann man schon mal ins Schwimmen kommen („hab ich die Tür jetzt wirklich abgeschlossen oder nicht?