Dinge, die die Welt nicht braucht, gibt es viele. Landtagswahlen. Sabine. Corona. Und so versucht man sein Leben mit Dingen zu füllen, die man für erbaulich und sinnvoll hält. Damit man irgend so etwas wie kuschelige Erfüllung spürt und nicht im geistigen Leerstand vegetiert. Anstatt also einen der unzähligen Tatorte und die eigenen Füße auf dem heimatlichen Polstermöbel zu betrachten, begibt man sich hinaus in die stürmische Welt. Man lässt sich vom Wind treiben und wird in eine schummrige Bar geweht. Wie „Treibeis“.
Voll, verraucht, leicht siffig – beschreibt das menschliche und nichthumane Interieur. Dies ist der Stoff, aus dem Plakate für Suchtpräventionskampagnen gemacht sind. Doch scheint man ausgerechnet an einem Samstagabend an der Repräsentationsfähigkeit des Etablissements arbeiten zu wollen und hat begonnen zu renovieren. Zumindest ist die Hälfte der farbeimergroßen Trankstelle mit Abdeckfolie für Malerarbeiten verhüllt. Mitten hinein in diese knisternde Stimmung tritt irgendwann ein Mann mit Maleranzug. Sein Kopf ziert ein Hut, wie ihn spanische Toreros beim Stierkampf tragen. Doch mit den Worten „fünf Bier für die Band“ läutet er den Bierkampf und das musikalischen Gemetzel ein. Feierlich verfängt er sich in der Malerfolie und enthüllt dabei seinen Hang zur Selbstperfektion – und die Band des Abends, deren Hauptklängemacher er ist. Sänger ist er nicht. Er ist eher irgendwas zwischen Helge Schneider, Lady Gaga und dem Klabautermann. Und so beginnt die Band zu spielen. Mit normalen Instrumenten, absonderlichen Maleranzügen und Kopfbedeckungen. Hüte mit aufgeklebten Federbällen und Antennen wackeln im Takt der Triangel- und Gitarrenklänge. Zur Lockerung der Stimmung verteilt die mit Mundschutz ausgestattete Band Corona. Und man beginnt als Betrachter zu begreifen: dies wird kein normaler Abend.
Beinahe nebensächlich nimmt man die triebwerkstarke Musik wahr. Rockig und irgendwie gut ist sie – wenn doch nur niemand singen würde. Die präzise gespielte Triangel ist ebenso wie die Texte kaum hörbar. Der Gesang erinnert ohnehin an Bahndurchsagen. Kunst nur für echte Kenner. Und doch sind die Ansagen eingängig. Irgendjemand will nach Namibia. Und irgendwas mit Bettina. „Fleischsalat und Magerquark“ brennen sich in das Gehirn. Man möchte jemandem ins Gesicht brüllen „Ich lieb dich doch und wir fahren nach Italien“. Reime und Harmonien sind nun wirklich fortschrittsfeindlich. Tütchen mit Fruchtgummi werden als Energielieferanten im paralysierten Publikum verteilt, das ungläubig am Bier nippt und irgendwie berührt mit dem Kopf wippt.
Das große Finale bahnt sich an. Man pellt sich aus den Maleranzügen. Eine pinke, hautenge Pracht kommt zum Vorschein. Man denkt an erneut an Fleischsalat. Vermutlich ist der Mann mit der zerfetzten, pinken Strumpfhose eigentlich Anlageberater bei der Sparkasse. Irgendwie auch nur irgendetwas zwischen Wahn und Wirklichkeit.
Und so setzt mit dem letzten Spritzer Klangfarbe das Getöse ein. Jubel und Applaus, über diesen Mut zum klangvollen Selbstabriss. Zum realen Wahn, in einer ansonsten vorhersehbaren, kuschelweichen Wirklichkeit. Da die Bar zugleich die Bühne ist, gibt es kein verqualmtes Hinterzimmer für die Stars des Abends. Und so taucht die Band in der Menge unter. Sofern man mit einer Antenne auf dem Kopf wirklich unauffällig untertauchen kann. Man folgt der Antenne durch die Menge und erwirbt eine Schallplatte, um mit dem erlebten Irrsinn irgendwie etwas Gegenständliches verbinden zu können . Auf die Frage hin, woher der illustre Name der Kombo stamme, ob es etwas mit der eignen Herkunft, romantischen Kindheitserinnerungen oder tiefgründigen Botschaften zu tun habe, entgegnet man: „Wir wollten was mit ö und x.“ Aha. Da bei Gründung der Gemeinschaft so etwas wie der Austritt Österreichs aus der EU noch undenkbar war, nannten sie sich folglich nicht Öxit, sondern Höxter. Dazu fällt einem nöx mehr ein. Gar nöx. Außer zu warten „auf die Dinge, die die Welt nicht braucht.“ Wie zum Beispiel eine Schallplatte, wenn man keinen Plattenspieler besitzt. Der nächste Hit von Bolzen Höxter scheint jedenfalls schon geschrieben: „Folgekosten“ oder „Wie viel habe ich gestern getrunken?“
3 Gedanken zu „Zwischen Wahn und Wirklichkeit – ein Abend mit Bolzen Höxter.“
Ich sitzt am Flughafen in der Ruhe vor dem Flug (viel geht hier im Moment nicht) da lese ich diesen Schellenaffen! Und denke….wie bekloopt ist unsere Gesellschaft und was tut sich der Literat zum Zweck der Studien und der Inspiration so alles an! Da freu ich mich doch mehr auf Beethoven und seine Missa Solemnis, die ich heute, so denn EW gegen den Sturm gewinnt, genießen werde! Kunst ist ja bekanntlich Geschmacksache, und Gott sei Dank muss ich nicht alles mitmachen! Aber wie heißt es so schön….jeder Jeck ist anders! In diesem Sinne hoffe ich auf einen guten Flug…..Beethoven ich komme !🌬✈🎶
da wünsche ich Trippel B einen guten Flug nach Hamburg und eine schöne Messe, vielleicht zusammen mit dem Schellenaffen, der sich dann von dem „Gebolze“ erholen kann