Wir leben in einer Blase. Jedoch nicht in einer von Filtern und Freundeskreisen formierten Monsterkugel, in der eine Ansammlung von Menschen zu einem Milieu, einem Modetrend oder einer Wählergruppe wird, die das gleiche Zeug atmet. Wir leben in einer Blase mit uns selbst und niemandem sonst. Denn niemand sonst kommt uns so nah wie wir uns selbst. Niemand versteht uns besser als wir uns selbst. Wobei besser nicht mit gut zu verwechseln ist. Besser ist nur weniger schlecht. In unserer Luftzelle ist man sich meist einig, vertritt die gleichen Werte, Raumtemperaturen und Urlaubspläne. Selten kommt es zu Konflikten und überraschenden Sinneswandlungen in dieser Blase. Jüngste Ausnahme ist vielleicht Xavier Naidoo, der feststellte, dass in seiner Blase nur noch Idioten leben, die kein Geld mehr verdienen.
Wenn wir ehrlich sind, sind wir alle ein wenig aufgeblasen. „Was? Ich doch nicht. Aufgeblasen sind nur die anderen.“ Das Böse, Schlechte, Unglückliche, Erschütternde sind immer nur die anderen. Katastrophen sind die anderen. Schlechte Nachrichten lösen in uns Widersprüche aus: ein Hoffen darauf, dass einen dergleichen Schicksal nie ereilt und eine gleichzeitige, tief verborgene Selbstsicherheit, dass einen so ein Schicksal nie ereilen würde. Das passiert nur den anderen, den Leichtsinnigen, den Naiven, den Trinkern, den Lauten, den Falschparkern. Man selbst hat keine Verkehrsunfälle, bekommt kein Corona und verpasst keine Flüge. Ruhestörender Lärm sind immer die anderen. Ebenso Vordrängler, Arbeitslose und Klimasünder. Irgendein Gemisch aus Empathie, Urangst und Arroganz atmen wir in unserer Blase tagtäglich ein.
Es steckt anscheinend doch mehr FDP in uns als uns Lindner lieb ist.
Der beste Beleg für unsere Widersprüchlichkeit ist der Straßenverkehr. Unzählige Menschen besitzen zwei Beine, ein Fahrrad und ein Auto und damit eine gespaltene Persönlichkeit. Denn steigen sie in ein Auto, vergessen sie, dass sie selbst gerne Fahrrad fahren wie ein not so Super Mario. Sitzen sie auf einem Drahtesel, blenden sie aus, dass sie mit ihrem Vierrad gerne zu waghalsigen Überholvorgängen neigen und wild hupend auf das Vorhandensein eines von Steuergeldern finanzierten Radweges hinweisen. Laufen sie wiederum auf dem Radweg, halten sie diesen für einen roten Teppich. Idioten sind einfach immer die anderen. Man ist erbost darüber, dass es kein Speiseöl mehr gibt, während sich die Nudelpackungen im Einkaufswagen türmen. Man verabscheut Menschen, die sich nach wenigen Tagen nicht mehr für Kriege und Katastrophen interessieren, während man „Bares für Rares“ im Nachmittagsfernsehen schaut und sein Wissen über Wandteppiche flämischer Landschaften auffrischt. Man ärgert sich über jemanden der alle Masken lässt, während einem selbige beim detonierenden Nieser unter den rechten Nasenflügel rutscht. Von dem elenden Virus dachte man eigentlich auch immer – wenn man ganz genau in sich hinein horchte – dass ihn nur Eltern alles ableckender Kinder bekommen. Man selbst ist gewiss immun. Intubiert werden immer nur die anderen.
Doch wir wären nicht wir, wenn sich unsere Blasen nicht nur aufblähten, sondern ebenso gerne einschrumpelten. Bis wir als selbstzweifelnde Rosinen auf der Couch liegen. Der beste Beleg für unsere Unbeständigkeit ist der Zahnarztbesuch. „Ja, klar. Ich benutze Zahnseide regelmäßig. Also einmal im Jahr. Vor diesem Termin. Sehen Sie doch, warum fragen Sie überhaupt noch?“ Beim Zahnarzt ereilt einen jedes Mal das Gefühl, man sei der einzige widerwärtige Mensch auf diesem Planeten, der sich nicht jeden Abend in einem Drahtseilakt das Frühstücksbrötchen aus den Zahnlücken fingert. Wer das nicht tut, verwirkt die Zugehörigkeit zu seiner Art. Gewiss. Alle anderen haben saubere Zahnzwischenräume, Ahnung vom Nahostkonflikt, eine lückenlose Altersvorsorge und Unterwäsche ohne Löcher. Es sind immer die anderen, die ihr Leben im Griff haben.
Für jemand anderen bist genau du dieser andere. In Summe sind wir also weder besser noch schlechter als andere. Wir sind wie alle anderen. Wir sind wie alle irgendwas zwischen Mensch und Statistik. Darauf kann man zählen.
2 Gedanken zu „Immer die anderen.“
Hier kann ich als Rheinländerin nur sagen „Jede Jeck is anders!“ Betonung liegt auf Jeck! Oder Et küt wie et küt ..will sagen manches werden wie nie ändern. Der Mensch ist die Schwachstelle in unserem Universum daher werden wir auch immer, Blase hin oder her, irgedwann, irgendwie, irgendwo scheitern! Aber auch genauso sicher ist es, das es noch viel schlimmer hätte komme könne und dat et so is wie et is! Rheinländer sind so!😊
Alle sind andere – ich für die anderen und die anderen für mich, und darin sind wir alle gleich …