Das Kreislaufen.

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Wir drehen uns im Kreis. Und das seit zwei Tagen. Wir sind losgelaufen mit dem Ziel dort anzukommen, wo wir losgelaufen sind. Auf dem feuchter werdenden Rücken tragen wir leichtes Gepäck, das mit jedem Schritt schwerer zu werden scheint. In unserer Hand drehen und wenden wir zum hundertsten Mal eine verschlungene Karte, um Kurs auf unserem Kreislauf zu halten.  Der eigene Körper juckt und müffelt an den meisten Stellen. Nur die Gedanken hören auf zu jucken. Sie verlaufen sich. Das ist es also: das Wandern.

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Doch was unterscheidet einen banalen Spaziergang von einer echten Wanderung? Es scheint sowohl eine Frage der äußeren als auch der inneren Ausstattung zu sein. Im Äußeren wandert man erst, wenn man aufgerüstet ist mit allerlei atmungsaktiver Polsterung. Der formlose Rucksack schnürt sich um die formvolle Leibesfülle, die Schuhe gleichen den Sicherheitsschuhen von Kohlekumpels und die Hose knistert gemeinsam mit dem Rauschen der windumwehten Baumkronen. Nur wer wie ein Forschungsprojekt der Textilindustrie aussieht, wandert so wirklich. Je ernster man es mit dem Wandern meint, desto zahlreicher und länger werden die Skistöcke, an denen man auf einem Feldweg Halt sucht.

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Gleichzeitig erfordert das Wandern, anders als seine gehfaule Stiefschwester des Spazierengehens, eine gewisse innere Haltung. Man begibt sich in einer sich minütlich neu programmierenden Welt der im Stroboskoplicht flackernden Schlagzeilen in die Hände der Entschleunigung, die so langsam klatschen, dass sich an ihnen Bienenstöcke bilden. Erst wenn Geschwindigkeitsangaben Nachkommastellen bekommen, dann wandert man. Distanzen, für die man gewohnt ist, Minuten zu benötigen, werden zum Wochenendausflug.  Mit dem Auto, mit dem Rad, selbst mit der deutschen Bahn wäre man überall schneller. Die eigenen Füße sind das langsamste aller Verkehrsmittel. Mit ihnen verlangsamt sich auch das Reaktionsvermögen. Komplette Entschleunigung liegt in der Natur – der Sache. Hektik und Sprunghaftigkeit werden spätestens am Steilhang zum Nachteil. Der stoische Tritt eines Mulis bringt einen am schnellsten ans Ziel. Erreicht man sogar die dritte Dimension des Kreislaufs und erklimmt Höhenmeter um Höhenmeter, spätestens dann kommt man in einen tranceähnlichen Zustand, den man benötigt, um nicht verrückt zu werden. Warum klettert man einen Berg oder Hügel hinauf, um ihn wenige Minuten später wieder mit tastenden Tritten hinabzusteigen? Das bisherige Leben folgte doch dem Gebot, der Mühsal aus dem Weg zu gehen. Allzeit. Doch hier ertappt man sich dabei, wie man unter leichter Todesangst Freude empfindet, dem Himmel ein Stück näher gekrochen zu sein. Wenn man wandert, denkt man anders. Näher kommt man sich, wenn man den Blick in die Ferne schweifen lässt und mit Fremden ins Gespräch, die wehklagend fragen, ob das jetzt nun wirklich der Gipfel sei. Zuhause kennt man nicht mal den Namen seiner Nachbarn. Das wandernde Volk ist ein Völkchen für sich – und dich und mich.

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Abends liegt man mit müden Füßen und munteren Bettwanzen im Bett einer Herberge der höchsten Kategorie und malt mit seinen schläfrigen Gedanken die Wege nach, auf denen man lief. Am nächsten Morgen wird man von einem Ausblick geweckt. Man sieht den Horizont, der sonst hinter Häuslichem verborgen bleibt. Die Erde ist also tatsächlich rund. Der Kreislauf geht weiter. In der Kühle des Waldes durchläuft man einen gemalten Sommertag auf den vorgezeichneten Pfaden. Souverän liest man die bunten Markierungen an den Bäumen, von denen man bisher dachte, sie würden irgendetwas zwischen „Bitte fällen“ und „Japan war hier“ bedeuten. Wandern braucht nicht viel Erfahrung. Wandern braucht viel Proviant. Das Gewicht des Rucksacks wandert vom Rücken in den Bauch. Wilde Himbeeren und Kirschen, die niemandem gehören, ergänzen die Kost. Nicht satt isst man sich an den immer neuen Szenerien. Felder, auf denen sich schwere Ähren wie zum Gebet beugen, schroffe Felsen, die an Barbapapa und seine Familie erinnern, und das Grün der Wälder, das zu sprechen scheint.  Wer Landschaften durchläuft, sieht klarer. Wer geht, kann vor nichts weglaufen.

Wer den Weg zum Ziel macht, kommt immer an.

2 Gedanken zu „Das Kreislaufen.

  1. Ja der letzte Satz begleitet uns schon viele Jahre…..Der Weg ist das Ziele ! Wer diesen Gedanken als Leitsatz nimmt hat auch im Leben, nicht nur beim Wandern, Spaziergang oder Radtouren , hat ein stehtes Ziel! Denn das Leben ist auch eine Wanderung mit Höhen und Tiefen, mit schönen Momenten und anstrengenden Teilstrecken,mit schwerem Gepäck oder leichten Gedanken! Und Ziele zu erreichen ist leichter, wenn man schon den Weg dorthin als Ziel erkennt! Manchmal muss man eine Wanderung machen um diese Erkenntnis zu begreifen! Seitdem ist mein Leben entspannter und weniger stressig! Ich komme ja jeden Tag ans Ziel auf meinem Weg der das Ziel ist!! 😊

  2. Wandern ist ehrlich gesagt nicht mein Ding, ich gehe lieber spazieren, auch schon mal da, wo andere wandern, und manchmal hab ich beim Begegnen mit verbisssenen oder auch ausgelassenen Wandergruppen gedacht „gut dass ich gleich wieder meine Ruhe habe“. Aber das Leben insgesamt können wir natürlich als große Wanderung oder Reise begreifen, und da ist der Weg dann wirklich die Hauptsache und vielleicht gibt es ja ein Ziel, das wir nicht kennen …

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