Einen an der Klatsche.

Fernsehen NDR extra3 Irrsinn der Woche Fernsehstudio

Man stelle sich vor, jemand erzählt eine humoristische Anekdote. Etwas Witziges, wie die Meldung, dass Boris Johnson Busmodelle aus alten Weinkisten baut. Womit auch endlich aufgeklärt ist, was die Grundlage für die Geschehnisse auf und in Johnsons Kopf ist: Holzwolle, das Füllmaterial aus Weinkisten.

Und dann stelle man sich vor, dass die herzhaften Lacher und Schenkelklopfer, die dieser Erzählung folgen, zeitversetzt, sagen wir, wenn alsdann über Nierensteine oder das erneute Waldsterben gesprochen wird, hörbar sind. Das exakt gleiche Lachen wird beliebig wiederholt, an passendenden und unpassenden Stellen.

Das nennt man dann Fernsehen. Genauer: die Aufzeichnung einer humoristischen Fernsehsendung.

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Das Fernsehen sieht von außen aus wie eine Mischung aus Verwaltungsgebäuden und, nein, es sieht einfach nur aus wie ein Verwaltungsgebäude. Der Pförtner lässt noch schnell diese eine, die man aus dem Fernsehen kennt, mit ihrem SUV an den Besuchern vorbeibrausen und weist dann den Weg zum Empfangsbereich des Fernsehens. Dort wartet ein Glas Sekt zur Lockerung der germanisch steifen Klatschmuskeln. Und ein paar Gummibärchen als kosteneffiziente Energiezufuhr. So eine Aufnahme kann schließlich sehr lange dauern. Die Aufnahme der Zuckerware geht hingegen recht schnell. Büfett-Fräsen gibt es eben überall.

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Nachdem man an der Garderobe mit der Jacke die Rechte an allen Bildern zwischen der eigenen heiligen Erstkommunion und etwas weniger weihevollen Hüftoperation abgetreten hat, betritt man das Fernsehen von innen. Man schreitet durch Flure, die in ihrer Ruhe und Geschäftigkeit an Krankenhausgänge erinnern. Und schließlich betritt man das Herzstück des Fernsehens: das Studio.

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Das Fernsehen sieht von innen aus wie der Maschinenraum des Traumschiffs. In dem halt jemand herumsteht und den Turbinen Witze erzählt. Man begegnet jedoch zunächst einem Platzanweiser, der einmal nicht nur dazu da ist, Menschen, für die die Unterscheidung zwischen Rang und Reihe mitunter herausfordernd ist, den Weg zu weisen. Der Platzanweiser ist Diskriminierungsbeauftragter für Fernsehanstalten und richtete den Zuschauerraum klatschvoll ein, indem er Menschen nach ihrem Erscheinungsbild sortiert. Man fragt sich angesichts der fettleibigen Klatschaffen in der ersten Reihe, ob der Sender damit die Brücke zu quotenstarkem Hartz-IV-TV schlagen wollte oder ob man selber einfach zu sehr danach aussieht, als habe man einen an der Klatsche.

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Nachdem man seinen Platz in der Gesellschaft zugewiesen bekam (dritte Reihe, immerhin noch vor den beigen Rentnern), betritt der Einheizer die Bühne. Er ist dazu da, den Menschen das Abprusten zu erleichtern und löst die ersten Lacher. Eigentlich ist er witziger und schlagfertiger als der eigentliche Witzemacher, der ins Fernsehen kommt, aber mit allzu viel Gerechtigkeit rechnet man beim Fernsehen ja ohnehin nicht. So klatscht und lacht man sich fünf Minuten warm und locker – und doch beschleicht einen das beklemmende Gefühl, irgendwie beobachtet zu werden. Vielleicht sind es die Kameras in der Größe eines Kleinbusses, die auf den eigenen Rachen gerichtet sind, die dieses subtile Gefühl auslösen. Möglich.

Dem Einheizer folgt der eigentliche Witzemacher, der weniger Witze und einen nervösen Eindruck macht. Er begrüßt die Menge herzlich und euphorisch und verschwindet erneut von der Bühne, um die Menge zu begrüßen – in dem er in eine der Riesenkameras spricht. Wie ein eifersüchtiger Ehepartner fühlt man sich verletzt. „Ach, auf einmal bin ich nicht mehr gut genug für dich. Hast nur noch Augen für die andere.“ Und doch lächelt man weiter. Es könnte ja eine Kamera auf einen gerichtet sein. Allzeit b(e)reites Grinsen, auch wenn man sich fühlt, als würde man ein fremdes Gespräch belauschen. Ein Gespräch, das jemand vorher ausformuliert hat und nun vorgelesen wird. Unter der in die Zuhörer gerichteten Kamera laufen die Witze wie Aktienkurse über den Teleprompter. Schnellleser erkennt man an einem leicht zeitversetzten Lachen. Und daran, dass sie beim nächsten Mal in die letzte Reihe verbannt werden.

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Doch kaum hat das Vorlesen begonnen, ist es eigentlich auch schon wieder vorbei. Oder auch nicht. Denn: Man stelle sich erneut vor, jemand erzählt eine humoristische Anekdote. Alle lachen über Boris und seine Busse. Doch dann sagt jemand „der Witz war ein bisschen zu lang, kannst du den bitte genauso, aber circa zwanzig Sekunden kürzer erzählen?“ Der Witz wird erneut erzählt, alle lachen und klatschen erneut. Leicht irritiert, aber total authentisch. Wie wenn Oma den einen Witz erzählt, den sie bei jeder Familienfeier zum Besten gibt.

Der Witzbold kündigt schließlich die nächste Sendung im Programm an und verbeugt sich. Musik und ein letztes klatschendes Aufbäumen setzen ein. Dann ist die Show vorbei. Vergeblich wartet man auf den Beginn der angekündigten Nachrichtensendung. Stattdessen wird man des Raumes verwiesen. Eilig begibt man sich auf dem Heimweg. Die Sendung wird schließlich bald ausgestrahlt und man möchte sich gerne beim Klatschen beobachten. Und die Witze ein drittes Mal hören. Ob das Lachen zu dem Witz gehört ist dabei so nebensächlich, wie die Frage, ob Boris Johnson wirklich Busse aus Weinkisten baut.

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2 Gedanken zu „Einen an der Klatsche.

  1. Jaja, schon vor mehr als 40 Jahren wurden meine Illusionen vom Fernsehen zerstört! Ich durfte „Zuschauer “ einer Livesendung die da hieß, „Spiel ohne Grenzen “ sein. Bei der es nicht um das geeinte Europa ging, sondern um die grenzenlose Bereitschaft der Mitspieler sich lächerlich zu machen! Ich, als Zuschauer, durfte nicht eine Sekunde meine wahren Gefühle zeigen, sondern wurde per hochgehaltenen Tafeln ( so war das vor 40 Jahren) zu jeglicher Reaktion aufgefordert…..ganz natürlich! Seitdem schaue ich mir keinerlei Shows mehr an…..alles nur Show, nix live! Das hat der Schellenaffe nun auch erfahren! Fernsehen war,ist und bleibt somit unverändert! Nämlich die beste Möglichkeit Menschen zu beeinflussen und zu manipulieren, vor und hinter denn Bildschirm! 😉 Aber, das wissen wir ja eh, oder!?😊

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