Das Leben fühlt sich manchmal an wie eine recht langatmige Unterhaltungssendung. Wir reihen Unterhaltungsprogramm an Unterhaltungsprogramm und unterbrechen das Unterhaltungsprogramm lediglich für den Gelderwerb zur Finanzierung des Unterhaltungsprogramms. Je mehr Geld wir erwerben (und je weniger Zeit wir dadurch haben), desto mehr Unterhaltung bieten wir uns selber an in der verbleibenden, dahin rinnenden Zeit. Ob Sudoku, Plastiktütensammeln oder Fallschirmsprung – kaum eine Sache ist uns zu absonderlich, kaum ein Aufwand zu groß, um unseren anspruchsvollen Geist zu unterhalten. Einfach nur Sitzen und Transpirieren, bis der Tod uns ereilt, kommt nicht in Frage. Zu Tode gelangweilt scheint die schlimmste Form des Siechtums zu sein. Nein, die Sinne wollen befummelt und berührt werden.
Über die Ausmaße, die diese Stimulationssuche annehmen kann, wurde an dieser Stelle bereits ausufernd referiert. Bis zur scheppernden Stirnrunzelation berichtet der Schellenaffe seit nun mehr drei Jahren über Urlaubsabenteuer (Fifty shades of dying.) Konzerterlebnisse (Zwischen Wahn und Wirklichkeit – ein Abend mit Bolzen Höxter. ) und Kunstobjekte (Avantgarde und Altkleider – ein Ausflug in die Kunstszene.). Über Schlammschlachten (Wat mud, dat mudder. ) und Sammlerfreuden (Safety cards first. ). Unterhaltung scheint der Unterhalt des Schellenaffen zu sein. Doch blieb bisher eine der beliebtesten Formen der Unterhaltung unkommentiert. Der Schellenaffe scheint beinahe sprachlos angesichts der allgegenwärtigen Dauerunterhaltung, um die es heute nun endlich gehen soll. Fans nennen es den Soundtrack des Lebens. Kenner erinnert es vielmehr an dieses leicht nervige Piep-Piep-Piep-Geräusch beim Rückwärtseinparken. Die Rede ist vom Radio. Von den Bestien der Achtziger, Neunziger und von heute. Die Dekade dazwischen ignorieren wir einfach mal, da passierte eh nichts außer Angela Merkel. Und die ist ja heute noch da. Also ist eigentlich wirklich nichts passiert. Außer sehr viel Stau. Und Seitenbacher Müsli.
Subtile Werbebotschaften eines fränkischen Müslimanens werden unterbrochen von Liedern, die jeder kennt und niemand mag. So wie eben Seitenbacher. Oder wer würde schon sagen, dass Modern Talking irgendwas mit Liebhaben zu tun hat? Ums Liebhaben geht es dafür viel bei Max Forster, nein Mark Giesinger, naja bei dem mit der Stimme, Sprechweise und Satzbauweise eines Fünfjährigen. Heeey. Liebe. Glück. Zusammen. Bubumachen. Und zehn Kilometer Stau auf der A3. Du schaffst alles. Wenn du nur willst. Auch eine Tasse zu gewinnen. Bei diesem tollen Gewinnspiel, bei dem immer nur hysterische Hausfrauen durchgestellt werden, die vor Freude ihre Kaffeetasse fallen lassen. Weil nur hysterische Hausfrauen bei Radiogewinnspielen mitmachen.
Wie Scherben im Ohr hört es sich dann an, wenn der von Müsli aufgeputschte, glücksbärchenartige Radio-Bot die Lieder anspielt, die in der nächsten halben Stunde gespielt werden. Die Tonfetzen werden feinsäuberlich durch den Jingle des Radiosenders unterbrochen und durch einen zwanzig minütigen Werbeblock abgerundet. Oder durch die mantrahaft aufgesagte Lobpreisung man sei der einzige werbefreie Sender. So oder so kriegt man die halbe Stunde bis zu den nächsten Nachrichten auch rum. Wieso die „Voll. Vollsperrung. Gemeinsam mit dir. In der 1A Vollsperrung. Und dann ab ans Meer. Ein bisschen stockender Verkehr. Oh yeah.“ – Meldungen und das bisschen Musikprogramm noch nicht endgültig eins geworden sind, bleibt ein Rätsel. Es wäre ein ohrensichtlicher Megashit.
Doch bei aller Kritik sollte man dem Radio dankbar sein. Dankbar dafür, dass alle anderen Formen der Unterhaltung nicht dem gleichen Muster folgen. Man sollte dankbar dafür sein, dass das Orchester nicht erst zwei willkürliche Takte spielt und dann die Bühne wieder verlässt und irgendwann in der nächsten Stunde wieder auf die Bühne kommt, um die restlichen Takte bis auf das Ende zu spielen. Man sollte dankbar dafür sein, dass sich in unserem Urlaubsschmöker nicht alle 20 Seiten der exakt gleiche Text wiederholt. Und dass sich genau dieser Text auch in jedem anderen Buch in diesem Moment befindet, dass wir hastig aufschlagen. Man sollte dankbar dafür sein, dass Menschen uns morgens in der U-Bahn nicht mit „WAS FÜR EIN TOLLER TAG HEUTE! DAMIT DU GUT ZUR ARBEIT KOMMST, SPIELE ICH EINEN ECHTEN GUTE LAUNE HIT – NUR FÜR DICH!!!“ begrüßen, während man „whenever, wherever“ die Notbremse sucht, um vor Shakira zu fliehen. Man sollte dankbar sein dafür, dass man der Kinofilm nicht durch den Hinweis auf Verkehrsprobleme in einem anderen Bundesland regelmäßig unterbrochen wird. Man sollte dankbar dafür sein, dass bei einer Wanderung der Freund nicht immer abgehackter und undeutlicher spricht, um dann ganz plötzlich zu verschwinden. Und nie wiederzukehren. Man sollte dankbar sein, dass Seitenbacher keine Fernsehwerbung…verdammt. Die Welt ist ein trostloser Ort. Zumindest, wenn man zu langem seinem Soundtrack lauscht. Denn der geht verdammt noch mal ins Ohr. Und bleibt im Kopf.
2 Gedanken zu „Radio Ga Ga.“
Ich gehöre zu den Menschen, die Radio als irgendwann erfundene,unnütze und nie oder nur zufällig mal genutzte technische Erfindung sehen. Mich hat es schon vor 40 Jahren genervt, in ein Auto zu steigen (sei es meins oder das eines anderen Menschen) wenn dort die „Plärrmachiene“ lief! Ich konnte schon meinen Vater nicht verstehen, wenn er die Fußballspiele lieber im Radio gehört hat ,als sie sich im Fernsehen anzuschauen 🤔!
Im Fernsehn kann ich der Werbung (Seidenbacher und Trigema) entfliehen in dem ich die Sender ohne Werbung anschaue( gut, nur ab 20.00 Uhr, (aber wer will schon vorher das Elend sehen) oder den Ton ausschalte! Aber was ist Radio ohne Ton……nix! Darum schalte ich es erst garnicht an! Und wenn doch mal, dann nur für TP (Traffic Programm ) aber eigentlich ist das auch Blödsinn, denn meistens kommen dort die Meldungen erst, wenn ich schon im Stau stehe! Also wieder nix! Radio ist für mich nur ein Störfall, den ich vermeiden kann! 😉
Als Schüler haben wir in den 50ern andächtig der Radioansage „This is the American Forces Network Europe“ gelauscht und die Songs verschlungen, und dann kam „This is Radio Luxembourg; Your Station of the Stars“ – und heute denken wir eher „hoffentlich hören die bald auf zu Quatschen“, aber dann kommt auch nicht unbedingt die Musik, die wir hören möchten, also besser abschalten oder mit Trippel B gar nicht erst einschalten …